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Wie ökologisch nachhaltig ist der Onlinehandel?

Sie verkaufen Ihre Produkte auch online – in Ordnung. Aber haben Sie eine Vorstellung davon, wie sich das auf die Umwelt auswirkt? Eine neue Studie beziffert die Treibhausgasemissionen des Onlinehandels. Und sie macht Vorschläge, wie sich dessen Umweltbilanz verbessern lässt.

Onlinehandel und Nachhaltigkeit – auf den ersten Blick passt das nicht zusammen: Produkte werden an einzelne Adressen geliefert, gehen häufig als Retoure zurück an den Absender – es kostet ja meistens nichts – und müssen dann vielleicht sogar vernichtet werden, weil man sie nicht mehr verkaufen kann. Beim Transport werden Unmengen an Treibhausgasen (THG) ausgestoßen. Berge aus Verpackungsmüll verstopfen die Mülltonnen. So oder so ähnlich die landläufige Meinung.

Die Mitglieder im Bundesverband E-Commerce und Versandhandel wollten genauer wissen, in wie weit ihr Geschäftsmodell die Umwelt belastet und wo es Möglichkeiten gibt, die Umweltbilanz zu verbessern. Im Auftrag des BEVH hat Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) eine Untersuchung zu den Umweltauswirkungen der 2,1 Mrd. B2C-Pakete, die 2021 verschickt wurden, gestartet und die Ergebnisse in der „Studie zur Oekologischen Nachhaltigkeit des Onlinehandels in Deutschland“ zusammengefasst. Der Fokus lag dabei auf den Treibhausgasemissionen. In ihrer Systematik unterscheidet die OeNO-Studie in vier Bereiche: Lieferverkehr, Verpackung, Digitale Infrastruktur und Logistikzentren.

Lieferverkehr: Die letzte Meile ist besonders schmutzig

790 g CO2e entstehen beim Versand eines durchschnittlichen Pakets an den Endverbraucher durch Kurier-, Express- oder Paketdienste, hat das ISI errechnet. Das entspreche der Menge an Treibhausgasen, die bei einer 5 km langen Fahrt im Pkw entstehen – oder bei der Herstellung von 1 kg Nudeln. Für die Lieferung sind es 866 g CO2e, bei Retouren nur 524 g CO2e, weil das Paket vom Käufer zur Versandstelle gebracht wird. Die dabei entstehenden Emissionen rechnet die Studie nicht dem Onlinehandel zu.

Die letzte Meile ist besonders Emissions-intensiv; auf sie entfallen 58 % der Gesamtmenge. Ein Paket, das an die Haustüre geliefert wird, verursacht 866 g CO2e. Wird es (ohne vorherigen Zustellversuch) in einem Paketshop oder an einer Packstation abgeholt, sind es lediglich 442 g CO2e – in diesem Fall inklusive Privatverkehr.

Insgesamt entstehen durch den Lieferverkehr jährlich rund 1,7 Mio. t CO2e, was 3,7 % der Emissionen des Straßengüterverkehrs entspricht. 20 % der Paketmenge entfallen auf die Retouren, die wiederum 13 % der Emissionen ausmachen. Der Privatverkehr, etwa zu den Packstationen, hat mit 20 kt CO2e einen vergleichsweise geringen Anteil an den Gesamtemissionen.

Verpackung: Differenzierte Betrachtung erforderlich

Verpackungen sind im Kontext der OeNO-Studie ausschließlich Versandverpackungen. Die gibt es in unterschiedlichen Ausführungen, mal aus Papier oder Pappe, mal aus Kunststoff, mit und ohne Recyclinganteil. Ganz wesentlich ist außerdem die Unterscheidung in Einweg und Mehrweg. Die allgemeine Bewertung von Verpackungen aus Papier/Pappe und Kunststoff, sei nicht möglich. Zu viele Faktoren spielten hier eine Rolle. Im Einzelfall könne bei kleineren Verpackungsgrößen eine aus Kunststoff sogar geringere THG-Emissionen aufweisen als eine aus Papier.

Dennoch versucht das ISI eine Quantifizierung der Treibhausgasemissionen. Bei Einwegverpackungen reicht die Spanne je nach Material von 20 bis 756 g CO2e. Bei Mehrwegverpackungen und unter der Annahme, dass die Rückabwicklung zentral an einem Ort stattfindet, kommen die Wissenschaftler auf 14 bis 828 g CO2e. Wichtig sei bei einer Bewertung auch, die Herkunft der Emissionen zu berücksichtigen: Während bei der Verbrennung von Papier/Pappe biogenes CO2 freigesetzt wird, das zuvor durch das Wachstum der Bäume der Atmosphäre entzogen wurde, wird bei der Verbrennung von Kunststoff fossiles CO2 freigesetzt.

Digitale Infrastruktur: Vom Rechenzentrum bis zum Endgerät

Was früher der Katalog und die Bestellpostkarte waren, sind heute Webseite, Computer, Tablet und Smartphone. Auch die verbrauchen Energie, ebenso wie die Server und Rechenzentren, die für die Abwicklung von Bestellungen, Retouren und Statusabfragen erforderlich sind. Kommt die Energie aus fossilen Quellen, entstehen THG-Emissionen.

Für einen einzelnen Bestellvorgang berechnet die Studie durchschnittlich Emissionen von 63 g CO2e. Dieser Wert könne sich jedoch für unterschiedliche Nutzungsszenarien stark unterscheiden.

Logistikzentren: Unterschiede je nach Standort

Für die Abwicklung von Onlinebestellungen und -retouren sind Logistikzentren unverzichtbar, daher gehören sie auch in die Umweltbilanz. Energie wird etwa für Förder-, Transport-, Umschlags- und Sortiereinrichtungen, Lagertechnik, Beleuchtung, Klimatisierung und IT verbraucht.

Pro Paket fallen hier durchschnittlich 66 g CO2e an Emissionen an. Die tatsächlichen Werte dürften sich allerdings in einem sehr breiten Spektrum bewegen. Einfluss darauf haben unter anderem die Größe des jeweiligen Standortes, die Art der Sendung, der Flächenverbrauch für die Lagerung oder die technische Ausstattung des Logistikzentrums, etwa der Automatisierungsgrad.

Zehnfache THG-Menge zwischen Extremszenarien

Unter Berücksichtigung der vier genannten Bereiche errechnet die OeNO-Studie für eine durchschnittliche „Standard“-Paketlieferung an die Haustüre THG-Emissionen von 1.421 g CO2e. Diesem Wert gegenüber steht ein hypothetisches „Best Case“-Szenario: Durch einen optimalen Transportverkehr inklusive Elektrofahrzeug für die letzte Meile, die Nutzung einer faltbaren Mehrwegversandverpackung, die optimierte Abwicklung im Logistikzentrum und die gezielte Bestellung durch einen gut informierten Kunden – was eine Retoure überflüssig macht – lassen sich die Emissionen auf 469 g CO2e reduzieren.

Aber es geht auch anders, schlechter: Das „Worst Case“-Szenario (drei Zustellversuche im Dieselfahrzeug, materialintensive Mehrwegverpackung, hoher Energieverbrauch im Logistikzentrum, ineffiziente Suche und Bestellung durch den Kunden, Retoure der „falschen“ Ware) bringt es auf 4.426 g CO2e. Und da ist die Ersatzbestellung für das dann hoffentlich richtige Produkt noch gar nicht berücksichtigt.

Verbesserungspotential für Industrie und Handel

Weil viele Faktoren die Umweltbilanz im Onlinehandel bestimmen, gibt es auch viele Stellschrauben, an denen die Beteiligten drehen können, um sie zu verbessern. 25 von ihnen werden durch das ISI konkret benannt (siehe Tabelle). Einige fallen in die Zuständigkeit der Logistikdienstleister. So könnten mit elektrischen Lieferfahrzeugen 24 % der Emissionen auf der letzten Meile eingespart werden. 25 % fielen weg, wenn sich Logistiker bei der Belieferung ländlicher Regionen zusammenschlössen. Die gebündelte Zustellung an Paketshops und Packstationen, die für die Besteller – ganz wichtig – fußläufig erreichbar sind, verursacht nur 51 % der Emissionen einer Haustürzustellung. Logistikzentren könnten mithilfe von Solaranlagen und einer energetischen Optimierung sogar klimapositiv sein (bis zu 105 % CO2e-Einsparung in nicht-automatisierten Lagern).

Aber auch Industrie und Handel können ihren Beitrag leisten. Mit dem Transport in versandfähigen Produktverpackungen – der Versandkarton fiele dann weg – würde sich die Verpackungsmenge um bis zu 24 % reduzieren. Weitere 6 % Versandverpackungen ließen sich einsparen, wenn diese nicht größer sind als erforderlich. Durch den Einsatz von Mehrwegversandtaschen (viele Umläufe, faltbar für Rücktransport, recyceltes Material) könnten zwischen 60 und 98 % THG-Äquivalente wegfallen.

Letzten Endes fällen Verbraucherinnen und Verbraucher die Kaufentscheidung. Der Handel kann ihnen aber auf die Sprünge helfen, damit ihr Konsum nachhaltiger wird. Beispielsweise durch Informationen am PoS, die Nutzung glaubwürdiger und produktrelevanter Eco-Labels, ein Marketing, das zum nachhaltigen Einkauf motiviert, oder personalisierte Produktwerbung, die nachhaltige Waren in den Vordergrund rückt.

Thomas Pfnorr


So entwickelt sich der Onlinehandel in Deutschland

Seit Jahren kann der Branchenverband BEVH steigende Zahlen im Onlinehandel melden: 2010 lag der Umsatz aus Versandhandel und E–Commerce noch bei rund 30 Mrd. EUR; 2021 erreichte die Entwicklung mit 117 Mrd. EUR (inklusive Dienstleistungen) ihren vorläufigen Höhepunkt. Corona und die damit verbundenen Lockdowns trieben die Menschen 2020 und 2021 regelrecht ins Internet, um ihre Konsumwünsche zu erfüllen. Dieser Sondereffekt fiel 2022 weg und so gingen die Umsätze wieder zurück. Aber mit knapp 102 Mrd. EUR liegen sie immer noch weit über dem Vor-Corona-Niveau.

Auf 2020 beziehen sich auch die Berechnungen der OeNO-Studie. Damals wurden rund 2,1 Mrd. B2C-Pakete verschickt, für Transport und Zustellung mussten etwa 2,5 Mrd. km gefahren werden. Immerhin 91 % der Lieferungen konnten beim ersten Versuch zugestellt werden, wozu sicher auch die vielen Beschäftigten im Homeoffice beigetragen haben. Für Versandverpackungen wurden 2021 geschätzt 885.000 t Pappe benötigt.


Mehr Infos im Internet

„Studie zur Oekologischen Nachhaltigkeit des Onlinehandels in Deutschland“ als PDF
Wie ökologisch nachhaltig ist der Onlinehandel?
Foto/Grafik: Andreas Oertzen / DHL Group
2020 wurden in Deutschland rund 2,1 Mrd. B2C-Pakete verschickt.
Wie ökologisch nachhaltig ist der Onlinehandel?
Foto/Grafik: Quelle: Fraunhofer ISI; Grafik: BTH Heimtex
Wie ökologisch nachhaltig ist der Onlinehandel?
Foto/Grafik: Quelle: Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland; Grafik: BTH Heimtex
Wie ökologisch nachhaltig ist der Onlinehandel?
Foto/Grafik: Quelle: OeNO-Studie/Fraunhofer ISI