Digitalisierungs-Boost durch Corona


Ohne Zweifel - die Corona-Pandemie hat Deutschland verändert. Wegen der Lockdowns konnten Konsumenten nicht oder nicht so wie gewohnt einkaufen, was vielerorts mit massiven Umsatzeinbußen einher ging. Weil der physische Verkauf in den Geschäften brach lag, stieg der Bedarf nach anderen digitalen Verkaufs- und Beratungskanälen. Die Hersteller steuerten mit einer Vielzahl von Online-Tools nach, um Produkte zu visualisieren und verfügbar zu machen. Digital besonders aktiv ist die Bodenbranche. Einige Herstellerstimmen finden Sie auf Seite 23. Aber auch viele Fachhändler nutzten die Gelegenheit, ihre Geschäfte digital auszubauen.

Wir haben eine Expertenrunde aus Fachhändlern gefragt, wie sie den Digitalisierungsboom erlebt haben.

Alle Befragten sind in ihrer Branche besonders versiert und wurden in den vergangenen Jahren mit einem Heimtex-Star ausgezeichnet.

Die Fragen:
• Die Corona-Pandemie hat einen Digitalisierungsschub bewirkt. Merken Sie das im Tagesgeschäft mit Ihren Kunden?
• Werden digitale Helfer und Online-Tools stärker nachgefragt?
• Kommen die Kunden mit mehr (online erworbenem) Vorwissen ins Geschäft?


Sophia Lauton, rupprich-markt-schwaben.de
(Markt Schwaben, Bayern)
"Online-Termine mit den Spezialisten"
"Ja, wir merken das auch vermehrt. Bei uns können die Kunden direkt online Wunschtermine ausmachen mit unseren Spezialisten. Das Tool wird gerne genutzt. Mehr oder weniger Wissen beim Kunden merken wir nicht. Kein Unterschied zu davor."


Rolf Schrempp, bieser-raumausstattung.de (Offenburg, BW)"Google-AdWords-Budgets heraufgesetzt"
"Wir haben auch schon vor Corona die sozialen Medien bearbeitet und die Digitalisierung unserer Geschäftsprozesse vorangetrieben. Gleich zu Beginn des ersten Lockdowns haben wir die Budgets unserer Google-AdWords-Kampagnen sehr stark nach oben gesetzt. Die Leute waren zu Hause und haben verstärkt im Internet nach Raumausstattern und Dienstleistern gesucht. Auf unsere Instagram-Seite wird sehr stark zugegriffen. Wir konnten über unseren Instagram-Account das Durchschnittsalter unserer Kundinnen deutlich senken.

Viele Kundinnen kommen mit dem Spruch "ich habe Sie auf Instagram gesehen" auf uns zu. Visualisierungs-Tools verwenden wir ganz bewusst nicht -die Haptik eines echten Stoffes schlägt jedes digitale Bild um Längen.


Judith Ebenbeck, keyser.de (Straubing, Bayern)
"Instagram als Inspirationsquelle"
"Digitale Tools sind im Heimtex-Bereich schwierig die Haptik von Stoffen und der genaue Farbausfall lassen sich über Bildschirme quasi nicht darstellen. Wir haben aber unsere Website überarbeitet und noch viel mehr Fotos abgebildet. Außerdem sind wir jetzt auf Instagram. Was häufig passiert, dass Kunden Pinterest- oder Instagram-Fotos zeigen, sich aber dann bei uns vor Ort Stoffe mit entsprechender Optik aussuchen. Wir hören auch vermehrt von Kunden, die mit online gekauften Vorhängen sehr unzufrieden waren. Aufgrund geringer Nachfrage nutzen wir auch kein Onlinetool eines Herstellers, wie beispielsweise den Jab Marketplace."


Jan Becker, beckerinterior.com (Köln, Ibiza, New York)
"Kundengespräche
per Zoom und Teams"
"Glücklicherweise haben wir bereits vor 2 Jahren unser Unternehmen digitalisiert: Alle Mitarbeiter haben Laptops und können von überall auf der Welt auf unseren Server zugreifen, somit auch im Homeoffice. Mit Kunden haben wir Videotools wie Zoom oder Teams bereits seit über zwei Jahren im Einsatz und können somit unsere Kunden gut erreichen. Durch Präsentationen mit Renderings können wir unseren Kunden auch auf Distanz einen guten Eindruck vermitteln, dieses wird flankiert durch Mustersendungen per Post."


Katja Schulze, katjaschulze.de (Loxstedt, Niedersachsen)
"Digitale Beratung
wird nicht angenommen"
"Nein! Ich merke gar nicht, dass Kunden mehr oder weniger durchs WWW informiert sind. Nicht mal unsere vielen Beratungsangebote via Facetime, WhatsApp-Video etc. wurden gewollt! Da wir ja immer uneingeschränkt raus konnten, war das aber auch nie ein Hindernis."


Frank Hinze, raumtrend-hinze.de (Darmstadt, Hessen)
"Mehr Vorwissen,
aber auch mehr Verwirrung"
"Grundsätzlich sind wir mit dem Online Handel und mit dem Fachhandel sehr digital unterwegs und haben deswegen bei beiden Kanälen Zuwächse. Wichtigste Info ist aktuell die Lieferzeit oder die Verfügbarkeit. Da wir bei unserem Fachhandel unsere Lagerbestände zeigen, ist das damit abgedeckt. Mehr Vorwissen haben die Kunden teils schon, jedoch ist da viel Verwirrung zu spüren. Kunden lesen im Internet 10 Quellen und haben dann 5 unterschiedliche Meinungen gelesen. Daher fragen Kunden gezielt nach einer Fachberatung um Licht ins Dunkel zu bringen."


Peter Waldherr, dekowald.de (Bad Tölz, Bayern)
"Man steht deutlicher im Preisvergleich"
"Bei uns ist keine Zunahme digitaler Helfer zu spüren, ein leichter Anstieg beim Vorab-Informieren übers Internet allerdings schon. Das ist Fluch und Segen, einerseits spart man sich manchmal Beratungszeit und der Kunde weiß oft schon sehr genau was er will. In manchen Bereichen etwa bei Fertigprodukten wie Lampen steht man deutlicher im Preisvergleich mit dem Internet als vorher."


Romina Haller, haller-raumgestaltung.de (Horgenzell, BW)
"Glasfaserleitung, um für
die Zukunft gerüstet zu sein"
"Die Digitalisierungswelle konnten wir selbstverständlich auch bei unseren Kunden*innen spüren. Insbesondere auf den Social-Media-Kanälen war vor allem die jüngeren Zielgruppe stärker aktiv und interessiert an Einrichtungs- und Wohntrends. Der direkte Kundenkontakt blieb uns jedoch trotz veränderter Situation und hoher Auflagen erhalten, da das Handwerk nach wie vor von der Mensch- zu-Mensch-Verbindung lebt.

Außerdem nutzten wir die Zeit der Pandemie verstärkt, um unsere Software auf ein neues, leistungsfähigeres Programm umzustellen. Aufgrund der ländlichen Lage unserer Firma haben wir selbst eine Glasfaserleitung verlegt, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Mit Highspeed voraus: Digital und live "


Julian Trebes, trebes.net (Altenkunstadt, Bayern)
"Onlinewelt hilft uns
im Geschäftsablauf"
"Ja, man merkt im Tagesgeschäft langsam, dass die Leute etwas sicherer im Umgang mit der Onlinewelt werden. Das hilft uns im Geschäftsablauf, von der Kunden-Akquisition bis zur Abwicklung des Auftrages. Die Kunden haben sich immer öfter schon vorher in ein Thema eingelesen, was manche Gespräche erleichtern kann.

Am hilfreichsten sind natürlich Google, Pinterest und andere soziale Medien, um auf sich aufmerksam zu machen oder um mit bestehenden Kunden in Kontakt zu bleiben, um Bewertungen und Beziehungen zu pflegen.

Ich setze aber nicht auf digitale Tools im Kundengespräch. Dass der Kunde vorab Vorhänge oder Räume online konfigurieren kann, ist eine nette Spielerei, hat aber am Ende wenig Charme. Wir sehen uns als Berater, Ideengeber und Verwirklicher mit einer persönlichen Bindung zum Kunden."



Matthias Reiser, reiser-raumdekor.de (Mainburg, Bayern)
"Google, Facebook und Instagram
waren eine große HIlfe"
"Die Corona-Pandemie hat uns alle zur Digitalisierung gezwungen. Unsere Kunden haben sich schon immer vorab auch über das Internet informiert. Die digitalen Medien wurden aber jetzt plötzlich für alltägliche Dinge unverzichtbar. Basics waren gefragt wie: Habt ihr geöffnet? Wie kann ich etwas bestellen oder abholen? Ständig mussten wir auf neue gesetzliche Vorgaben reagieren und diese an unsere Kunden kommunizieren. Hier waren Google My Business, Facebook und Instagram eine sehr große Hilfe. Auch unsere Webseite wurde täglich angepasst. Seit Jahren pflegen wir unsere Webseite selbst. Das ist ein großer Vorteil in der Pandemie. Änderungen können so schnell und einfach direkt online gebracht werden.

Natürlich bieten wir unseren Kunden auch Planungstools wie Materialo und Spectrum. Die Pandemie ist die Gelegenheit, das alles auch mal im großen Stil einzusetzen. Oft waren es aber gerade die einfachen Dinge: Im Lockdown haben wir unsere Kunden per WhatsApp-Videocall oder Facetime beraten. Alltägliche Technik die jeder unserer Kunden bereits besitzt und die wir nur nutzten mussten. Vieles lässt sich per Video einfach besser erklären als nur am Telefon. Per Video haben wir unseren Kunden die Stoffe und Bodenbeläge gezeigt und so eine Vorauswahl zusammen gestellt. Diese Muster haben sich die Kunden dann per Click & Collect abgeholt und zum Aussuchen mit nach Hause genommen."



Kevin Peter, laminatdepot.de (Velbert, NRW)
"Virtueller Raumplaner
intensiv genutzt"
"Wir bieten schon länger einen virtuellen Raumplaner an, der gerade in den vergangenen Monaten sehr intensiv genutzt worden ist. Dazu generieren wir über unsere Website auch immer mehr Musterbestellungen.

Fast zeitgleich zum Start der Pandemie haben wir auch unsere Videoberatung etabliert, davon haben wir natürlich in den vergangenen Monaten sehr profitiert. Dazu wurde tatsächlich mehr telefoniert. In den Wochen, in denen unserer Filialen komplett schließen mussten, war an der Service-Hotline richtig viel los. Viele Kundinnen und Kunden haben sich auch direkt in den Filialen gemeldet, so dass wir kurzfristig sogar die Telefonanlagen optimieren mussten, um wirklich alle Anfragen zeitgleich bedienen zu können. Und ganz nebenbei bieten wir auf unserer Website seit Anfang März einen Onlineshop an. Ganz generell lässt sich schon sagen: Die Kundschaft greift gerne auf unsere digitalen Angebote zurück. Viele, die später in der Filiale kaufen, waren vorher auf unserer Website, haben sich Muster bestellt und sind über Onlinemarketing mit uns in Berührung gekommen."


Oliver Kaufmann, raumausstattung-kaufmann.de (Weimar, Thüringen)
"Tagesgeschäft
hat sich nicht verändert"
"Wir merken keinen Digitalisierungsschub, das Tagesgeschäft hat sich bis auf das Tragen einer Maske nicht verändert. Auch Tools wurden bis jetzt noch nicht nachgefragt bzw. angenommen."


Julia Hieber, leibbrand.de (Schorndorf, BW)
"Kunden wollen mehr
digitale Visualisierungen"
"Bereits vor der Pandemie kamen unsere Kunden gut informiert und mit bestimmten Vorstellungen zu einem Beratungsgespräch zu uns. Auf unserer Website besteht seit mehreren Jahren die Möglichkeit, sich Farben, Muster und Teppiche in einem Online-Designer-Tool veranschaulichen zu lassen. Allerdings merken wir, dass unsere Kunden von Küchen- und Badplanern inspiriert sind und mehr digitale Visualisierungen wollen. Wir haben frühzeitig auf diese Entwicklung reagiert und 2020 eine Innenarchitektin eingestellt, die viel Erfahrung im 3D-Visualisierungsbereich mitbringt. Somit können die Kunden Ihr Zuhause in verschiedensten Varianten betrachten, mit uns besprechen und unsere Mitarbeiter setzen die gewünschte Version handwerklich um.



Waltraud Högemann, hoegemann-textiles-einrichten.de (Bad Segeberg, SH)
"Digitalsierungsschub
ist nicht zu merken"
"Zwar hat sich meine Auftragslage während der Corona-Pandemie merklich erhöht, doch in puncto Digitalisierungsschub merke ich keine Auswirkungen. Die Website ist nach wie vor nicht mehr wegzudenken, da sich Interessenten auch primär über die Website informieren. Ergänzt wird das Ganze bald durch einen dreidimensionalen Rundgang durch meine Ausstellung."


Catherine Schneider, raumausstattung-breisach.de (Breisach, BW)
"Kunden informieren sich
zunehmend vorab im Internet"
"Bei uns hat sich die Pandemie zwar positiv auf die Auftragslage ausgewirkt, der Digitalisierungsschub allerdings hat sich nicht bemerkbar gemacht. Wobei wir pandemieunabhängig in den letzten Jahren schon festgestellt haben, dass Kunden sich vorab zunehmend im Internet informieren und oft mit einer recht genauen Vorstellung oder sogar schon mit einer Produktreferenz zu uns kommen."


Hans Rieder, raumgestalter.net (Hausham, Bayern)
"Digitale Fotos erleichtern
das Beratungsgespräch"
"Ja, wir merken den Digitalisierungsschub. Kunden, die fertige Artikel kaufen wie Gartenmöbel, Sonnenschirme oder Markisen, kommen gut informiert über die Webseiten der Hersteller zu uns und wollen die Produkte im Original sehen und eine fachliche Beratung dazu haben.

Andere Kunden, die eine Beratung wollen, haben meistens digitale Fotos dabei. Das gibt uns im Verkauf sehr viel mehr Information und erleichtert das Verkaufs/Beratungsgespräch sehr."



Stimmen aus der Industrie

Bernd Greve, Project Floors
"Geschäft zurück in den lokalen Handel holen"

"Die Endverbraucher in den digitalen Welten abzuholen, in denen sie zunehmend unterwegs sind, ist für den Verlegebetrieb und den mittelständischen Fachhandel ohne umfangreiche eigene Internetpräsenz schwierig. Social-Media-Kanäle ermöglichen es allerdings auch dem kleinen Verlegebetrieb, sich zu präsentieren und auch mit dem Kunden in Kontakt zu kommen und zu bleiben. Digitale Vermittlungsangebote wie unsere Plattform bodengutgemacht.de werden ebenfalls sehr gut angenommen, um das Geschäft aus dem Internet zurück in den lokalen Handel zu holen."


Jörg Peterburs, Meisterwerke
Positive Einstellung zu digitalen Themen entstanden

"Wir haben insbesondere während der Lockdowns beobachtet, dass viele unserer Fachhändler, die ihnen zur Verfügung gestellten Tools vermehrt genutzt haben, um auch in Zeiten eingeschränkter persönlicher Kontakte Beratung und Verkauf möglichst weiterlaufen zu lassen. Besonders der neue Interior Designer auf unserer Website wurde sehr stark von Händlern in der Beratung, aber auch von Endkunden zur Vorinformation genutzt, um sich die Wirkung der Böden in ihren eigenen vier Wänden zu visualisieren."


Lars Maier, Küberit
Customer Journey ist der rote Faden

"Die Digitalisierung des PoS bietet neue Wege und die Chance, zum Online-Handel aufzuschließen. Wir wissen schon lange, dass sich die Kaufentscheidungen vom Point of Sale wegverlagern. Daher unterstützen wir den Handel, in dem wir Küberit-Kunden während der gesamten Customer Journey - von der Bedarfsentstehung über Logistik, Kauf und Montage bis zum Rückbau - durch digitale Technologien einen Mehrwert liefern."


Tomas Cordes, Amorim
Der Point of Sale wird hybrid

"Die Digitalisierung bietet Wege, sich auf eine anregende Weise so umfassend und in einer Tiefe zu informieren, wie das am klassischen PoS nicht machbar wäre.

Zusätzlich zu zukünftigen Messepräsenzen führen wir digitale Betriebsführungen durch und haben einen digitalen Showroom für die Präsentation unserer Kollektionen geschaffen, die auf den Webseiten unserer Marken Wicanders und Amorim Wise zu finden sind."
aus BTH Heimtex 07/21 (Handel)