FussbodenTechnik-Fachwissen für Fortgeschrittene

Warum Schnellestriche nicht automatisch schnell sind


Kurze Bauzeiten sind ein Dauerbrenner am Bau, entsprechend wird permanent an Möglichkeiten gearbeitet, über Schnellprodukte Fristen zu verkürzen. Estriche stehen hierbei aufgrund der üblichen Trockenzeiten und der zeitlichen Nähe zum Bauabschluss besonders im Fokus. Abhängig von der Art des Bindemittels umfassen die hierbei einzuplanenden Wartezeiten bis zur Belegreife eine relativ große Zeitspanne, die von einem Tag bis zu mehreren Wochen und im Extremfall sogar bis zu mehreren Monaten dauern kann.

Bei den am häufigsten eingesetzten Zementestrichen reicht die Spanne bis zur Belegreife von einem Tag (bei Schnellzement-estrichen mit keramischen Fliesen als Oberbelag sogar von einigen Stunden) bis zu vier oder sogar sechs Wochen. Durch den Einsatz von Schnellprodukten besteht hier also ein erhebliches Potenzial zur Bauzeitverkürzung. Folgerichtig fordern ausschreibende Stellen häufig den Einsatz von "Schnellestrichen", selbstverständlich in der Erwartung, Wartezeiten im Bauablauf möglichst kurz zu halten.

"Schnellestrich" ist allerdings kein definierter Begriff und wird von den verschiedenen Akteuren am Bau ganz unterschiedlich eingesetzt bzw. verstanden. Werden geeignete Produkte eingesetzt und sind die Bedingungen auf der Baustelle günstig, können in vielen Fällen die Erwartungen erfüllt werden. Häufig stehen allerdings auch Aussagen zu Produktleistungen im Raum, die für den Fachmann erkennbar nicht zu erfüllen sind. Insbesondere werden unter dem Begriff "Schnellestriche" Schnellzementestriche mit sogenannten beschleunigten Zementestrichen zusammengefasst und als gleichwertig dargestellt. Diese fachlich ungerechtfertigte und vielfach irreführende Vereinfachung wird allerdings den beiden Produktgruppen nicht gerecht. In der Praxis führt dies dann immer wieder zu Kontroversen, Streit und Schuldzuweisungen zwischen Planer, Estrichleger und Boden-/Parkettleger.

"Schnellestriche" sind also nicht immer schnell - mit dieser bewusst überzeichneten Vereinfachung lässt sich die heutige Situation zusammenfassen. Vertiefte Fachinformationen helfen, Klarheit zu schaffen und damit Streit zu verhindern. Einen ganz wesentlichen Beitrag liefert dazu das 2015 erschienene TKB-Merkblatt 14 Schnellzementestriche und Estriche mit Estrichzusatzmitteln [1].

Schnelligkeit und Belegreife

Was bedeutet "schnell" überhaupt? Im hier dargestellten Kontext bedeutet "schnell", dass durch die eingesetzten Produkte eine verkürzte Wartezeit bis zum Erreichen der Belegreife erzielt wird. Als Vergleichsmaßstab dient dabei die Zeit bis zur Belegreife unter Einsatz "üblicher" Produkte (wobei "übliche" Produkte zwar vom Baupraktiker verstanden wird, aber auch nicht näher definierbar ist). An dieser Stelle tritt als zweite Schwierigkeit die Definition von Belegreife auf, denn bis heute gibt es keine Messmethode, die die Belegreife anhand eines technischen oder physikalischen Effekts eindeutig und reproduzierbar messbar macht. Als Ersatz besitzt nach wie vor die Feststellung von Werner Schnell Gültigkeit, nach der die Belegreife "der Zustand eines Estrichs ist, in dem er für die schadens- und mangelfreie dauerhafte Aufnahme eines Bodenbelags geeignet ist". [2]

In dem im November 2015 neu erschienenen Teil 1 der Estrichnorm DIN 18560 wurde die CM-Messung als Methode zur Ermittlung der Belegreife von mineralischen Estrichen über deren Feuchtegehalt aufgenommen. Darüber hinaus nennt diese Norm die dazugehörigen Grenzwerte. Sie enthält weiterhin den Hinweis, dass der Feuchtegehalt "ein Kriterium zur Beurteilung der Belegreife" ist. Der Feuchtegehalt ist also ein - sehr gewichtiges - Kriterium zur Feststellung der Belegreife. Darüber hinaus kann allerdings auch die Betrachtung weiterer Kriterien zur Feststellung der Belegreife notwendig sein.

An dieser Stelle helfen die Ausführungen im TKB-Merkblatt 14 weiter. Danach gilt für die Belegreife: "Die zeitlich veränderlichen Estricheigenschaften haben ein Niveau erreicht, das die Belegung zulässt." Konkret bedeutet dies, dass

a) der Feuchtegehalt des Estrichs einen unschädlichen Wert erreicht hat,
b) die Festigkeitsentwicklung für die Belegung ausreichend weit fortgeschritten ist und
c) das Spannungs-/Verformungsverhalten (z. B. erkennbar als sogenanntes Schüsseln) ausreichend abgeklungen ist.

Dabei wird der Feuchtegehalt, der vor allem für textile und elastische Bodenbeläge sowie Parkett maßgeblich ist, vom Boden- und Parkettleger bestimmt. Eine Aussage zur Festigkeitsentwicklung, die ein maßgebliches Kriterium für Reaktionsharzbeschichtungen ist, kann über den Hersteller des Estrichs bzw. den Hersteller der Einsatzstoffe erfolgen. Eine Aussage zum Spannungs-/Verformungsverhalten kann ebenfalls auf den Empfehlungen des Herstellers der Einsatzstoffe beruhen bzw. visuell auf der Baustelle durch den Verleger beurteilt werden. Sie ist insbesondere vor der Belegung mit beispielsweise großformatigen keramischen Fliesen von Bedeutung.

Schnellestriche

Das TKB-Mekblatt 14 beschreibt den Begriff "Schnellestriche", unter dem häufig Schnellzementestriche und sogenannte beschleunigte Estriche zusammengefasst werden, als irreführend. Stattdessen wird unterschieden zwischen

- Schnellzementestrichen und
- Normalzementestrichen mit Estrichzusatzmitteln (EZM), denen eine "beschleunigende Wirkung" zugesprochen wird.

Diese beiden Zementestricharten weisen ein unterschiedliches Trocknungs- und Erhärtungsverhalten auf, das naturgemäß zu unterschiedlich langen Wartezeiten bis zum Erreichen der Belegreife führt. Vereinfacht ausgedrückt: Diese Produkte sind unterschiedlich schnell und damit nicht gleichwertig austauschbar.

Trocknungsverhalten von Zementestrichen

1. Normalzementestriche
Bereits 2002 wurden vom IBF Troisdorf Untersuchungsergebnisse zur Trocknung von beschleunigten Estrichen veröffentlicht, die anschaulich das Verhalten von Estrichen mit Normalzement mit und ohne EZM ("Beschleuniger") zeigen. Bild 1 [3] zeigt den Trocknungsverlauf ausgewählter Zementestriche. Die oberste Kurve im Diagramm beruht auf Messungen an einem "üblichen" Zementestrich, die anderen Kurven beschreiben das Verhalten von beschleunigten Zementestrichen. Die Kurvenverläufe ähneln sich in ihrem Verlauf, allerdings sind sie bei den beschleunigten Estrichen erkennbar zu niedrigeren Feuchtigkeitsgehalten verschoben. Daraus lassen sich zwei grundlegende Tatsachen ableiten: Die EZM bewirken eine deutliche Absenkung des Wasserbedarfs. Weniger Wasserbedarf führt zu einer kürzeren Wartezeit bis zum Erreichen der feuchtigkeitsabhängigen Belegreife.

Durch den Einsatz von EZM lassen sich verkürzte Warte-zeiten bis zur Belegreife erreichen, sie können also im Sinne der oben aufgeführten Definitionen schnell sein.

EZM, die den Wasserbedarf verringern, führen allerdings nicht zu einer Änderung im Abbindemechanismus von Normalzementestrichen, daher auch die Feststellung, dass der Begriff "beschleunigte" Estriche bzw. "Schnellestriche" irreführend sein kann. Tatsächlich führt der Zusatz von Fließmitteln zu Zement-estrichen häufig zu einer Verlangsamung der Zementhydratation, wie schematische Wärmeflussdiagramme zu solcherart modifizierten Estrichen zeigen (Bild2 - siehe vorherige Seite). In der Praxis wird dieser Effekt allerdings durch die Verringerung des Wasser-bedarfs überkompensiert.

Da bei Normalzementestrichen und Normalzementestrichen mit EZM nur ein Teil des Anmachwassers chemisch gebunden wird, muss ein erheblicher Teil physikalisch trocknen (verdunsten), um die Belegreife zu erreichen. Der Zeitbedarf bis dorthin ist also sehr stark von den raumklimatischen Bedingungen und der Estrichdicke abhängig. Und genau bei diesen Einflusskriterien kommen Normalzementestriche mit EZM sehr schnell an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Die Empfehlungen einiger Anbieter von EZM zu den zu erwartenden Trocknungszeiten vernachlässigen leider entsprechende Hinweise - die Folge ist das eingangs beschriebene Konfliktpotenzial.

2. Schnellzementestriche
Schnellzemente sind spezielle Bindemittelgemische, die vom Hersteller nach vorgegebener Rezeptur gefertigt und zur Herstellung von Schnellzementestrichen eingesetzt werden. Grundsätzlich wird entsprechend TKB-Merkblatt 14 zwischen zwei Bindemittelsystemen unterschieden: binäre Schnellzemente (SZ-B) und ternäre Schnellzemente (SZ-T).

Binäre Schnellzemente bestehen aus Portland- und Aluminatzement. Über Additive kann ein niedriger Wasser/Zement-Wert eingestellt werden. Die Festigkeitsentwicklung ist deutlich beschleunigt, sodass SZ-B-Estriche früh mechanisch belastbar sind. Das Trocknungsverhalten ist durch die physikalische Trocknung (Verdunstung) bestimmt, die Trocknungszeit ist durch den relativ niedrigen Wasser/Zement-Wert allerdings erheblich verkürzt.

Die Domäne von SZ-B-Schnellzementestrichen ist damit der Einsatz als Verlegeuntergrund für keramische Fliesen (Bild 3). Dort sind schnelle Festigkeitsentwicklung und geringe Verformungen maßgebliche Kriterien für eine frühzeitige Belegung mit dem starren, feuchteunempfindlichen Bodenbelag.

Ternäre Schnellzemente sind Dreistoffgemische mit den Hauptkomponenten Portlandzement, Aluminatzement und Calciumsulfat. Diese Bindemittelgemische binden den überwiegenden Anteil des Anmachwassers chemisch und kristallin, sodass nur noch ein geringer Teil verdunsten muss. Ungünstige Umgebungsbedingungen und/oder hohe Estrichdicken beeinflussen daher kaum die Trocknungszeit bis zur Belegreife.

SZ-T-Schnellzementestriche erlauben daher verlässliche Aussagen zur Wartezeitverkürzung bis zur Belegreife, sowohl für die Trocknung als auch über Festigkeit und Schwindverhalten. Sie unterscheiden sich darin grundsätzlich von Estrichen mit Normalzement und EZM sowie von binären Schnellzementen. Sie sind damit erste Wahl für eine verlässliche Bauzeitenplanung, unabhängig von der Art des zu verlegenden Bodenbelags, der Estrichdicke und den klimatischen Bedingungen auf der Baustelle (Bild 4).

Zusammenfassung

Die dem TKB-Merkblatt 14 entnommene Tabelle 2 fasst die bisher beschriebenen charakteristischen Eigenschaften der unterschiedlichen Zementestrichsysteme zusammen und beschreibt darüber hinaus die Auswirkungen von Estrichdicke und Baustellenklima auf das Trocknungsverhalten. Wird für ein Bauvorhaben ein "schneller" Zementestrich gefordert, folgt daraus, dass bei der Auswahl der geeigneten Art von Zementestrich folgende Einflussgrößen unbedingt beachtet werden sollten:

- Anforderungen an die Trocknungszeit,
- Art des zu verlegenden Bodenbelags,
- erwartete raumklimatische Bedingungen während der Trocknung,
- Estrichdicke.

Die Kenntnis der grundlegenden Eigenschaften der unterschiedlichen Estricharten mit verkürzter Wartezeit bis zur Belegreife sollte es dem Planer oder Verleger ermöglichen, die geeignete Art von Zementestrich auszuwählen und so mögliche Konfliktpotenziale schon im Vorfeld zu entschärfen.

Kurz und Knapp
Schnelle Zementestrichsysteme - was ist zu beachten?
1. Es gibt zwei Möglichkeiten, bei Zementestrichsystemen die Trocknungszeit zu verkürzen: Einsatz von Schnellezementen als Spezialbindemittel oder der Einsatz von Estrichzusatzmitteln (EZM) bei Estrichrezepturen auf Basis von Normalzement.
2. Beide Varianten werden häufig irreführend unter der Bezeichnung Schnellestriche zusammengefasst. Wegen der unterschiedlichen Eigenschaften ist dies aber nicht zutreffend.
3. Ternäre Schnellzementestriche (drei Hauptbestandteile) haben den Vorteil, dass sie Wasser chemisch und kristallin binden können und damit auch unter ungünstigen Baustellenverhältnissen schnell erhärten und trocknen. Die Wartezeit bis zur Belegreife kann verlässlich vorhergesagt werden.
4. Bei Zementestrichen mit Zusatzmitteln hingegen ist eine genaue Zeitangabe nur sehr schwer oder gar nicht möglich, insbesondere bei ungünstigen Verhältnissen auf der Baustelle oder hohen Schichtdicken.
5. Schnellzemente und Zementestriche mit EZM sind nicht gesondert genormt, darauf sollte der Estrichleger den Bauherrn hinweisen.


Quellen
[1] TKB Merkblatt 14, "Schnellzementestriche und Estriche mit Estrichzusatzmitteln", 08-2015, zum Download unter www.klebstoffe.com
[2] Werner Schnell, "Das Trocknungsverhalten von Estrichen", Aachener Bausachverständigentage, 1994
[3] Oliver Erning, "Zusatzmittel für schnelle Belegreife - Anspruch und Wirklichkeit", Institut für Baustoffprüfung und Fußbodenforschung, Troisdorf; veröffentlicht in FussbodenTechnik 3/2002
aus FussbodenTechnik 04/16 (Estrich)