Eine kleine Orient-Warenkunde

Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?


Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?" mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserem Ratespiel in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln: Die ausführliche Auflösung der Fragen folgt gleich in der nächsten Ausgabe. Sie finden daher jetzt auch die Auflösung der Fragen aus der letzen Ausgabe.

Chenille - Samtiges Garn


Teppiche aus samtigem Chenille-Garn liegen voll im Trend. Große Anbieter von abgepasster Ware sind auf den Zug aufgesprungen und bieten Chenille-Qualitäten in Varianten an: von Flachgeweben in Vintage-Optik bis hin zu hochflorigen Teppichen in kräftigen Farben, in die der Fuß weich einsinkt. Der Hauptgrund für den Erfolg des flauschigen Garns ist, dass sich damit kostengünstig eine wertige ansprechende Ausstrahlung erzielen lässt.

Das Geheimnis des Chenille Garns ist seine voluminöse Struktur bei wenig Materialverbrauch. "Chenille" kommt aus dem Französischen, bedeutet "Raupe" und beschreibt sehr bildhaft das Aussehen: Innen laufende Fäden, "Seele" genannt, werden mit vielen kurzen Fäden so verzwirnt, dass eine haarige raupenähnliche Oberfläche entsteht. Für Chenille-Garne gibt es heute verschiedene maschinelle Herstellungsverfahren, die auf die Erfindung der Chenille-Maschine von Emil Meißner (Zeitz/Deutschland) im Jahre 1918 zurückgehen. Die ersten handgefertigten Chenille Garne wurden schon im 18. Jahrhundert als Stickgarne verwendet. Später wurden aus Chenille Möbel- und Vorhangstoffe hergestellt. Als Rohstoffe kommen edle Materialien wie Seide oder Wolle in Frage, aber auch Baumwolle, Mischgewebe oder Polyacryl. Das Garn ist generell durch seine Struktur sehr strapazierfähig und für die unterschiedlichsten Verwendungszwecke geeignet, seien es elegante Wohnzimmerteppiche oder Badematten und Türvorleger.

Aktuelle Chenille-Teppiche sind eine Kreation aus dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends und sie trafen genau den Einrichtungsgeschmack der Zeit. "Shabby Chic" mit Patchwork-Teppichen und künstlich gealterten und eingefärbten Orientteppichen ist immer noch enorm angesagt. Die flachgewebten Chenille-Teppiche bieten mit eher europäischen Mustern (zum Beispiel "Aubusson") und breitem Farbspektrum eine Alternative in der gewünschten Optik und zusätzlich eine angenehme flauschige Haptik plus Strapazierfähigkeit.


Ziegler - Afghanisch / pakistanischer Knüpfteppich



Ziegler in allen Größen sind ein Grundpfeiler im Verkaufssortiment eines jeden großen Teppichhauses. Seit Jahren gefragt, nahm ihre Erfolgsgeschichte Mitte der 1990er-Jahre in den Werkstätten pakistanischer Flüchtlingslager ihren Ausgang. Heute werden Ziegler sowohl in Pakistan, als auch vor allem in Afghanistan geknüpft. Und natürlich gibt es indische Nachschöpfungen.

Die Ziegler zeigen eine helle Farb-Palette, häufig Ton in Ton, gerne auch mit wenigen abgemilderten Grundfarben kombiniert. Das florale Allover-Muster des Feldes gibt es in unendlichen Variationen. Im Teppichhandel sind Ziegler auch als "Chobi" (oder Tschubi, Tschobi) bekannt. Das persische Wort bedeutet "Holz" oder "Wurzel" und bezieht sich angeblich auf die natürlich wirkende Farbpalette oder den natürlichen Farbstoff, mit dem die Wolle gefärbt wurde. Durch die Creme- und Beigetöne können Ziegler dem Wohnambiente einen klassisch eleganten Touch verleihen, die weniger gelungenen Ausführungen machen zumindest nichts kaputt. Die Dessinierung ohne Mittelmedaillon mit seinen Arabesquen und Palmetten ist unaufdringlich und hat kein Zentrum oder Ausrichtung: Ob Einsatz im Schlafzimmer, Wohnzimmer, Esszimmer oder Eingangsbereich, alles ist möglich.

Man könnte sagen, dass der Ziegler den traditionellen Orientteppich persischen Typs von seiner kräftigen, manchmal lauten Farbigkeit befreit hat. Das gefällige, harmonische Kolorit war jedoch ursprünglich einmal ein Produktionsfehler der Textilfirma, die dem Teppich seinen Namen gab: Der geschäftstüchtige Schweizer Johann Phillip Ziegler gründete Ende des 19. Jahrhunderts im englischen Manchester eine Tuchfabrik, die in den Orient exportierte. Um Geld- und Warenströme zwischen Persien und Europa zu optimieren, wurde in Sultanabad (heute Arak) eine Teppichmanufaktur gegründet: Tuchware wurde in Persien verkauft, die Erlöse in uninteressanter persischer Währung wurden in die Teppichproduktion vor Ort reinvestiert. Durch die Orientbegeisterung im ausklingenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nämlich wurde persische Knüpfware knapp und diese stellte Ziegler nun selbst her, geschickterweise geknüpft mit weicher, feiner Merinowolle aus Manchester. Die Florwolle wurde mit billigen Anilinfarben gefärbt, die rasch verblichen. Durch Zufall war man damit die häufig als aufdringlich empfundene persische Farbpalette los und eine neue Mode war geboren. Die Firma Ziegler war immerhin circa 50 Jahre sehr erfolgreich und ihr Name erlebte in den pakistanischen Flüchtlingslagern ein nun schon 20 Jahre andauerndes Revival.


Mille-fleurs - Florales Teppichmuster



Die Vorstellung, über eine Blumenwiese zu laufen, hat etwas sehr Poetisches. Die Idee für den Teppich mit dem Grundriss einer Gartenanlage, im übertragenen Sinne des Paradieses, kommt aus der persischen Tradition. Das Mille-fleurs Motiv aber (wörtlich aus dem Französischen "Tausend Blumen") ist mehr als ein einfaches Streublumen-Muster. Es hat eine große Vergangenheit und stellte einmal etwas Bedeutenderes dar, als hübsches Beiwerk im Hintergrund eines Teppichfonds.

Das Mille-fleurs Muster hat zwei sehr unterschiedliche Ursprünge. Zum einen kommt der Begriff von einem bestimmten Typus der europäischen Tapisserie (flachgewebe Wandteppiche) der Renaissancezeit des 15. und 16. Jahrhunderts, zum anderen von indischen Mogul Knüpfteppichen des 17. und 18. Jahrhunderts.

Die Gruppe der zumeist flandrischen oder französischen Bildteppiche mit Mille-fleures Motivik ist recht klein. Unregelmäßig verteilte, sich nicht überschneidende und relativ genau ausgeführte blühende Pflanzen in manchmal unrealistischen Größenverhältnissen umgaben flächendeckend ein Hauptmotiv, zum Beispiel eine Dame mit Einhorn. Die Bildteppiche hingen an den Wänden von Herrscherhäusern und wirkten wie gewebte Fenster in eine andere Wirklichkeit. In der Renaissance wollte man nicht mehr nur glauben, sondern man begann, den Dingen auf den Grund zu gehen. So waren die identifizierbaren Blumen ein Verweis auf eine göttliche Schöpfung, die sich in all ihrer Schönheit auch im kleinsten offenbart. Bei den feinen nordindischen Knüpfteppichen der Mogul-Zeit wurden Blumen auch flächendeckend eingesetzt. Sie sind jedoch nicht nur Ausdruck göttlicher Schöpferkraft, sondern Hauptdekor und Ornament. Im Unterschied zu persischen Teppichen mit Arabesken und Blütenranken, sind sie bei den indischen Exemplaren in Sträußen kombiniert oder werden als kleine Einzelpflanzen dargestellt. Die Blumen werden zudem in Feldern geometrisch geordnet und wiederholen sich in Rapporten. Diese Ordnung ist ein Hauptunterschied zu der unregelmäßigen Anordnung auf europäischen Tapisserien. Allerdings finden sich europäische Einflüsse auf die Entwicklung der indischen Blumenteppich-Mode, die wiederum in Persien aufgenommen wurde und dort eigene Blumenteppichstile hervor brachte. Heute sind es vor allem Teppiche aus Kirman - insbesondere die sogenannten feinen Kirman-Raver, die ein Mille-Fleurs-Muster zeigen.

Tapisserie



Streng genommen ist ein Teppich geknüpft und gehört auf den Boden. Die Tapisserie ist ein europäischer Spezialfall der Kategorie Flachgewebe und wird in der Kunstwissenschaft "Bildwirkerei", im alltäglichen Sprachgebrauch etwas schief "Wand- oder Bildteppich" genannt. Erste Tapisserien entstanden im Mittelalter und sie werden bis heute gefertigt. Wichtige Zentren der Bildwirkerei befanden sich in Frankreich und Flandern, neuere Produktionen kommen aus China.

Anders als bei orientalischen Flachgeweben bestehen die Motive nicht aus abstrakten Symbolen, Mustern und Ornamenten, sondern es werden Bildszenen realistisch wiedergegeben; wie bei einem Gemälde. Ein orientalisches Flachgewebe kann ganz frei gefertigt werden oder es kann einer Vorlage lose nachempfunden werden. Tapisserien jedoch sind genau nach Bildentwürfen, Kartons genannt, ausgeführt. Bei den berühmten französischen Manufakturen in Aubusson oder den Gobelins stellten die angesehensten Künstler ihrer Zeit die Kartons her. In komplizierten Verfahren wird das Motiv dann als Flachgewebe umgesetzt. Gewebt wird von der Rückseite, die Schauseite des Bildteppichs wurde früher mit Spiegeln auf seine fachgerechte Ausführung kontrolliert.

Echte Tapisserien sind immer handgewebt, weil ihre Technik keine Maschinenweberei zulässt. Auf Hoch- oder Flachwebstühlen wird der Schussfaden nur bis zum Ende einer Farbpartie geführt und kehrt dann um, ähnlich wie bei der orientalischen Schlitzkelim-Technik. Die Kettfäden bestehen aus strapazierfähigen Materialien wie Baumwolle oder Leinen. Für die Schussfäden verwendet man Wolle, Leinen, Seide, aber auch Gold- und Silberfäden. Eine Tapisserie ist in ihrer Herstellung sehr zeitaufwendig und die Materialien teuer. Es bedurfte erfahrener und gut ausgebildeter Handwerker. Dies alles macht die Wandteppiche zu kostbaren und zugleich kostspieligen Ausstattungsgegenständen. So wurden die Manufakturen früher häufig von Herrschern gefördert, die dort Bildteppiche in Auftrag gaben, die nicht nur praktischen Nutzen hatten, wie die hohen Wände der Adelssitze zu isolieren und die Akustik zu verbessern. Ihre Hauptaufgabe war mittels der Bildthemen und der Qualität der Ausführung den Herrscherruhm zu mehren und die Macht, Reichtum und den Geschmack der Aufraggeber vorzuführen.
aus Carpet Magazin 02/15 (Teppiche)