Abschied von Qandeel


von Stephen Landrigan

Am 24. Juni starb Haji Abdul Qadir, in der Branche als "Qandeel" bekannt, in Mazar-e-Sharif. Wie Haji Satar, ein weiterer Gigant des afghanischen Teppichhandels, fiel auch er dem Corona-Virus zum Opfer.

Qandeel wurde 1956 in eine Familie turkmenischer Landwirte hineingeboren, die in dem winzigen Dorf Kyzyl Ayak bei Aqcha im Norden Afghanistans lebte. Nach der sowjetischen Invasion 1979 floh er mit seiner Familie nach Pakistan - zunächst nach Peschawar, anschließend nach Attock, wo eine lebhafte afghanisch-turkmenische Gemeinde entstand. Da Lahore als Zentrum des pakistanischen Teppichhandels galt und er dringend Geld verdienen musst, reiste er Anfang der 1980er-Jahre allein mit dem Bus dorthin und nahm einige Teppiche mit, die Verwandte von ihm geknüpft hatten. Die Teppiche ließen sich tatsächlich gut verkaufen. Innerhalb weniger Jahre handelte Qandeel nicht nur mit der traditionellen turkmenischen "Roten Ware", sondern er verkaufte auch viele andere Designs, die speziell für den großen pakistanischen Großhändler Abbas Carpets produziert wurden.

Qandeel konnte weder lesen noch schreiben, verfügte aber über ein erstaunliches Gedächtnis. So hatte er immer den vollständigen Überblick über die Produktion seiner mehr als 800 Knüpfer. Außerdem wusste er stets, welche Schiffe gerade aus der Hafenstadt Karachi ausliefen und noch Containerplatz frei hatten: eine gute Basis, um einen günstigen Last-Minute-Transport seiner Teppiche auszuhandeln. Auf diese Weise wurde Qandeel einer der größten und finanziell erfolgreichsten afghanischen Teppichexporteure. "Qandeel hat mit seinen Geschäften enorm viel Geld eingenommen", so der afghanisch-amerikanische Importeuer Alex Zahir. "Am meisten hat er sich allerdings über die vielen Arbeitsplätze gefreut, die er damit schaffen konnte."

In Attock baute er eine riesige Finishing-Anlage auf, die einen ganzen Häuserblock einnahm. Etwa 2008 zog er wieder nach Afghanistan und ließ dort eine noch größere Anlage errichten. In den letzten Jahren wollte Qandeel in die Seidenproduktion einsteigen, dafür ließ er mehrere Hundert Maulbeerbäume anpflanzen. Sein Geist war ständig in Bewegung, immer neue Ideen trieben ihn um.
aus Carpet! 03/21 (Teppiche)