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Handwerker darf Verlegearbeiten nicht einstellen


Kommt es bei einer Bauausführung zu Leistungsänderungen am sogenannten Bausoll, ergeben sich daraus Nachträge. Diese führen zu Nachforderungen, die durch zwei Merkmale gekennzeichnet sind: Zum einen handelt es sich um eine Forderung des Auftragnehmers auf eine Vergütung für eine Bauleistung, die vom Bausoll abweicht. Zum Anderen handelt es sich um einen Nachtrag, wenn die Leistung erst nach dem Abschluss des Bauvertrages gefordert wird bzw. der Umstand für ihre Erbringung erst nach Vertragsabschluss eingetreten ist.

Der Fall aus der Praxis

Ein Estrichfachbetrieb und ein Auftraggeber schlossen einen Vertrag nach VOB/B. Der Auftraggeber vergab Estricharbeiten im Rahmen des Umbaus und der Erweiterung einer Stadthalle. Während der Ausführung stellte der Handwerksbetrieb fest, dass Nachtragsleistungen für Mehrdicken im Estrich notwendig waren.

Der Auftragnehmer stellte eine Nachtragsforderung und sendete diese an den Auftraggeber. Letzterer bat danach um Übersendung weiterer Unterlagen, damit geprüft werden könne, ob die Nachtragsforderung berechtigt sei. Der Bauunternehmer drohte daraufhin an, die Baustelle zu räumen, wenn der Nachtrag nicht bestätigt würde.

Am folgenden Tag blieb der Estrichfachbetrieb der Baustelle fern, weil noch keine Bestätigung des Nachtrages erfolgt war. Der Auftraggeber kündigte daraufhin den Vertrag, ohne dass eine Frist für die Fortsetzung erfolgte und ohne eine Kündigungsandrohung. Der Auftragnehmer hielt die Kündigung für unberechtigt und machte seine vereinbarte Vergütung, abzüglich ersparter Aufwendungen, geltend.

Entscheidung des Gerichts

Das Gericht hielt die Kündigung des Auftraggebers für wirksam (BGH Beschluss vom 1. Juni 2022, Az.:VIIZR826/21). Es war der Auffassung, dass auch bei ungeklärten Nachtragsforderungen der Auftragnehmer nicht dazu berechtigt ist, seine Arbeiten einzustellen. Es sei dem Auftragnehmer durchaus zuzumuten, Nachtragsleistungen zu erbringen, ohne dass der Nachtrag durch den Auftraggeber bestätigt wird.

Eine notwendige Nachtragsleistung kann nach der Auffassung des Gerichts gegebenenfalls nach der Fertigstellung gerichtlich überprüft werden. Das Gericht war der Auffassung, dass die Parteien eines VOB-Vertrages zu einer Kooperation verpflichtet sind. Bei Meinungsverschiedenheiten über die Notwendigkeit oder die Art und Weise der Vertragsanpassung müssen Verhandlungen geführt werden, mit dem Ziel einer einvernehmlichen Einigung.
Das Gericht begründete dies damit, dass der Auftraggeber die Nachtragsforderungen nicht ablehnte, sondern durchaus gezeigt habe, dass er zu einer Einigung bereit sei, indem er die Unterlagen anforderte. Selbst wenn die Nachtragsforderung abgelehnt worden wäre, hätte die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung nach der Fertigstellung bestanden.

Das Gericht war in diesem Fall der Auffassung, dass eine Kündigung berechtigt ist, weil der Handwerksbetrieb keine Mitarbeiter auf die Baustelle entsandte. Die Einstellung der Bauarbeiten ist ein Extremfall der unzureichenden Ausstattung der Baustelle mit Arbeitskräften. Grundsätzlich muss vor jeder Kündigung eine Fristsetzung und Aufforderung zur Weiterarbeit erfolgen. Das Gericht meinte, dass diese Fristsetzung entbehrlich sei, wenn der Auftragnehmer die rechtzeitige Erfüllung seiner Vertragspflichten derart verzögert, dass das Vertrauen des Auftraggebers in seine fristgerechte Leistung erschüttert ist und ein Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zuzumuten sei.

Es muss also im Falle einer schwerwiegenden Vertragsverletzung keine vorherige Fristsetzung geben. Das Gericht sah diese Voraussetzung bei dem Beispiel als erfüllt an. Im Wesentlichen ist die Berechtigung der Kündigung damit begründet worden, dass der Handwerker gegen die Kooperationspflicht verstieß. Hier hatte der Estrichfachbetrieb darauf bestanden, dass ein Nachtrag beauftragt wird oder die Arbeiten eingestellt werden.

Der Auftraggeber hatte bereits erklärt, dass die Arbeiten dringlich seien, um die Leistungen insgesamt fortzusetzen. Aufgrund des Verhaltens des Auftragnehmers war hier jedoch eine Fristsetzung entbehrlich.

Der Estrichfachbetrieb konnte seine Forderung nach Vergütung aufgrund der Kündigung nur zu einem geringen Teil durchsetzen.

Praxistipp

Bei Streitigkeiten über Nachtragsforderungen erhalten Auftragnehmer oft - und oft auch unberechtigt - eine Absage der Auftraggeber. Wer hier als Auftragnehmer damit droht, die Arbeiten einzustellen und dies auch tatsächlich tut, riskiert eine Kündigung des Bauvertrages. Im Zweifel müssen also die Nachtragsleistungen ausgeführt werden und die berechtigte Zusatzvergütung muss notfalls eingeklagt werden.
Dies erscheint ungerecht, ist jedoch ständige Rechtsprechung. Ausnahmen von diesem Grundsatz gibt es natürlich: Zum Beispiel wenn der Auftraggeber eine berechtigte Nachtragsforderung endgültig verweigert. Hier darf auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 24. Juni 2004, VIIZR271/01) verwiesen werden: In diesem Fall verweigerte der Auftraggeber eine berechtigte Nachtragsforderung endgültig. Aufgrund der endgültigen Verweigerung der Zahlung der Nachtragsvergütung war der Auftragnehmer berechtigt, seine Leistung zu verweigern.

Auch wenn ein Auftraggeber ein Nachtragsangebot völlig ignoriert, besteht die Möglichkeit, die Leistung zu verweigern und die Arbeiten einzustellen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. März 2018, Az.:22U71/17).

Der Auftraggeber hat natürlich auch eine Kooperationspflicht. Verhält er sich völlig passiv, kann dem Auftragnehmer nicht mehr zugemutet werden, Anordnungen des Auftraggebers zur Erbringung von Leistungen befolgen zu müssen. Hier ist jedoch immer darauf zu achten, dass vor einer Arbeitseinstellung immer eine Fristsetzung erfolgen muss.

Es muss jedoch noch darauf hingewiesen werden, dass die Arbeitseinstellung immer problematisch ist. Sollte es später eine gerichtliche Auseinandersetzung über die Einstellung geben, weil zum Beispiel eine Abschlagsrechnung nicht voll ausgeglichen wurde, wird als Grundlage der berechtigten Forderung aus der Abschlagsrechnung immer der Leistungsstand zum Zeitpunkt der Stellung der Abschlagsrechnung herangezogen werden. Liegen noch Mängel vor, so reduziert sich der Anspruch. Die Abschlagsrechnung muss nicht in vollem Umfang bezahlt werden.

Die Arbeitseinstellung über Nachträge sollte nur im Ausnahmefall mit Prüfung sowie Fristsetzung erfolgen. Vorschnelles Handeln kann hier zu einer Kündigung führen.


Der Autor
Andreas Becker ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht.

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aus Parkett Magazin 01/24 (Recht)