Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?
Eine kleine Orient-Warenkunde
Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?"mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserem Ratespiel in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln: Die ausführliche Auflösung der Fragen folgt gleich in der nächsten Ausgabe. Sie finden daher jetzt auch die Auflösung der Fragen aus der letzen Ausgabe.Kayseri - Türkische Provenienz
Kayseri ist eine beliebte türkische Teppich-Provenienz, deren Name sich von der gleichnamigen zentralanatolischen Stadt ableitet. Teppiche aus der Umgebung von Kayseri, wie zum Beispiel Büyan, werden dieser Provenienz ebenfalls zugeordnet. Unter der Vorherrschaft der Römer hieß die Stadt Caesarea und noch heute werden antike Teppiche durchaus unter dieser Bezeichnung angeboten. Die meisten Teppiche dieser Provenienz zeigen Kopien türkischer Gebetsteppiche. Aber auch persische Dessins wie die aus Täbris wurden und werden gerne nachgeknüpft. Die Musterübernahme aus Persien lässt sich auf einen Jahrhunderte langen regen Handel zwischen Kayseri und Täbris zurückführen.
Bei alten als auch neuen Teppichen aus Kayseri wird für Kette und Schuss häufig Baumwolle verwendet. Das ist für anatolische Teppiche eher ungewöhnlich, da sonst überwiegend Wolle verwendet wird. Als Flor kommen sowohl Wolle, als auch Viskose, mercerisierte Baumwolle und Seide zum Einsatz. Abgesehen von der Wolle, alles Materialien, die Teppichen einen besonderen Glanz verleihen und auch für einen hohen Absatz an Kayseri sorgen. Besonders häufig werden heute Teppiche mit Viskose auf Baumwolle produziert und an Touristen verkauft, vor allem als Reihengebetsteppich (Saf) im Format 80 x 200 cm sowie als Yastic in 50 x 100 cm. In Stücken aus Mitte / Ende des 19. Jahrhunderts, die meist unter dem Namen Caesarea auf dem Markt sind, wurden Feinheiten der meist von Täbris inspirierten Muster durch die Verwendung von weißer Baumwolle herausgearbeitet. Eher selten sind reine Seidenteppiche zu finden, die dann aber durch ihre ausgesprochene Feinheit und die hohe Qualität der Seide auffallen und Seidenteppichen aus dem iranischen Ghoum in nichts nachstehen.
Geknüpft wird meist im Heimfleiß mit dem symmetrischen Knoten. Auffällig sind die weit verbreiteten sorgfältig aufeinander abgestimmten Pastelltöne oder Gold und Cremé, die sich vom häufig tiefblauen Fonds abheben.
Bordüre - Ein das Innenfeld einfassendes Muster
Die meisten Orientteppiche verfügen über mindestens eine, in der Regel sogar mehrere Bordüren, die das große Mittelfeld eines Teppichs wie ein Bilderrahmen einfassen und es damit in den Mittelpunkt des Betrachters rücken. Unterschieden werden Haupt-, Neben- und Mitläuferbordüren. Die Hauptbordüre ist in der Regel am breitesten und wird von den schmaleren Neben- und Mitläuferbordüren eingefasst. Häufig zu finden ist eine Bordürenanordnung aus zwei Nebenbordüren, die eine Hauptbordüre umschließt. Zwischen Haupt- und Nebenbordüren verlaufen zusätzlich schmale Mitläuferbordüren. Abgetrennt werden sie von den Nähten, einem Begriff, der mittlerweile recht selten verwendet wird. Wie auch beim Innenfeld, gibt es bei der Gestaltung der Bordüren eine unglaubliche Vielfalt. Durch die begrenzte Breite lassen sich die Muster jedoch nicht so detailliert darstellen wie im Innenfeld, weshalb viele Motive in stilisierter Form eingeknüpft werden.
Wichtig sind Bordüren auch bei der Bestimmung der Teppichprovenienz. Denn während in das Innenfeld häufig auch (gut verkäufliche) Muster anderer Provenienzen nachgeknüpft werden, bleiben die Knüpfer bei den Bordüren häufig ihrer Heimatprovenienz treu. Einige Bordüren - vor allem die Neben- und Mitläuferbordüren - gibt es so nur in bestimmten Provenienzen, andere sind in unterschiedlichen Provenienzen zu finden. Die Herati-Bordüre beispielsweise ist typisch für Teppiche aus westpersischen Provenienzen wie Täbris und Heris, die Weinlaub-Bordüre für Teppiche aus dem Kaukasus. Weitere bekannte Bordüren sind unter anderem die Wolkenband-Bordüre, Laufender Hund-Bordüre und Swastika-Bordüre.
Eine weitere Einteilung der Bordüren erfolgt nach Musteraufbau und -anordnung nach reziproken beziehungsweise In-and-out-Bordüren. Reziproke Bordüren entstehen durch einen Gestaltungstrick beim Knüpfen: Sie sind spiegelbildliche Mustergebungen, die im Positiv-/Negativ-Verfahren geknüpft werden. Wird ein Positivmuster entworfen, entsteht zugleich im verbleibenden Feld automatisch das spiegelverkehrte negative Gegenstück. Bei In-and-out-Bordüren hingegen weist das Primärornament in der Bordüre alternierend nach innen und außen.
Ghaschgai - Südpersischer Nomadenstamm
Die Ghaschgai gehören zu den bedeutendsten teppichknüpfenden Nomaden des Iran. Sie leben in der südwestiranischen Fars-Region. Die verschiedenen Stämme besiedeln ein Gebiet von etwa 500 km, das sich vom Südrand der Chahar Mahal-Provinz bis Lar am Persischen Golf erstreckt. Ihre Teppiche werden von vielen als König unter den Nomadenteppichen bezeichnet. Dank der exzellenten Knüpfung und der unglaublichen Mustervielfalt wird Ghaschgai diesem Ruf gerecht.
Ein Großteil der Ghaschgai-Teppiche zeigt das geometrisch gestaltete Heibathlou-Muster, ein rautenförmiges Mittelfeld mit einem eher schlichten Medaillon, das sich in den Ecken wiederholt. Das Innenfeld ist mit ungewöhnlich vielen Ornamenten gefüllt. Gezeigt werden Sterne, Kamele, Pfauen, Hunde, Bäume, Blüten, etc. Mal sind sie stilisiert, mal detailgetreu wiedergegeben. Auffällig sind die vielen kleinen Füllmotive, wie zum Beispiel stilisierte Glück bringende Drachen (als "S" zu erkennen). Auch Raubkatzen kommen in allen Variationen vor, wobei Löwen besonders häufig abgebildet werden; sie sind als Zeichen der Macht zu verstehen.
Nicht alle Muster haben ihren Ursprung in der Region, in der die Ghaschgai leben. Grund ist das phänomenale Gedächtnis der Knüpferinnen, die ein interessantes Motiv nur einmal sehen oder geschildert bekommen müssen und es dann in den Teppich einarbeiten können.
Die Teppiche der Ghaschgai sind überweigend in bräunlichem Rostrot oder in Orangentönen gehalten, Blau kommt ebenfalls vor. Die wichtigsten Kontrastfarben sind Grün, Weiß und Gelb.
Kette und Schuss sind in der Regel aus Wolle heimischer Schafe. Geknüpft wird mit dem symmetrischen Knoten mit doppeltem Schuss.
Als enge Verwandte der Ghaschgai-Teppiche gelten die Provenienzen Yalameh, Abadeh und Nasrabad. Sie werden häufig mit den Arbeiten der Ghaschgai verwechselt. Es handelt sich hierbei um Unterstämme mittlerweile sesshafter ursprünglicher Ghaschgai-Nomaden.
Ravar - Iranische Teppichprovenienz nahe Kirman
Bei Ravar handelt es sich um eine südpersische Teppichprovenienz. Das Dorf Ravar - in der Literatur häufiger fälschlicherweise unter Lavar oder Lawer zu finden - liegt in direkter Nähe zu Kirman. Viele Teppiche aus diesem Gebiet tragen die Bezeichnung Raver Kirman, wobei Raver in der Regel noch feiner geknüpft werden als Kirman. In den niederflorigen und sehr festen Knüpfungen wird meist Wolle als Flormaterial verwendet, für die Kette Baumwolle. Typisch für Raver ist die unglaubliche Dichte an floralen Mustern, jeder Millimeter des Teppichs scheint mit Motiven wie Blüten, Bäumen und Sträuchern verziert zu sein. Bei den sehr feinen Raver sind diese Blüten häufig nicht stilisiert, aber es können einzelne Blütenarten wie Schwertlilien oder Butterblumen identifiziert werden. Auch Tierfiguren, die mit Arabesken- und Spiralranken verbunden sind, überziehen häufig das Innenfeld. Neben Blumen werden auch Vasen und Boteh-Muster in unendlichen Rapports verwendet. Zudem gibt es Garten- und Gebetsteppiche sowie figurale Teppiche. Raver sind stets sehr farbenfroh, Rosarot, Lindgrün, Rot und Blau herrschen vor.
aus
Carpet Magazin 03/12
(Teppiche)