W. Classen GmbH & Co. KG

"PVC ist im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft eine Sackgasse"



BTH Heimtex: Seit Anfang 2021 erhebt die Europäische Union eine Steuer auf Plastikverpackungen in Höhe von 80 Cent/kg, sofern das Material nicht grundsätzlich recycelbar ist. Was bedeutet diese politische Entscheidung Ihrer Meinung nach für Bodenbeläge, die aus Kunststoffen hergestellt werden?

Sebastian Wendel: Kunststoffverpackungen repräsentieren mit jährlich 20 Mio. t den größten Anteil am gesamten Kunststoffaufkommen in der EU. Dahinter folgt bereits der Bausektor mit 10 Mio. t, zu dem auch Bodenbeläge gehören. Diese Zahlen stammen von Plastics Europe und Eurostat, dem europäischen Statistikamt. Die sogenannte Plastiksteuer, die Sie erwähnen, ist ein eindeutiges Zeichen, dass die verabschiedeten Programme der EU-Kommission im Rahmen des Green Deals keine leeren Worthülsen sind: Die Politik fördert und fordert die Transformation in eine Kreislaufwirtschaft. Die "Strategy of Plastics" der EU verlangt ein Produktdesign, welches die spätere Wiederverwendung sicherstellt sowie Produkte, die langlebiger sind als bisher. Die europäische Abfallpolitik und -gesetzgebung fordert einen höheren Recyclinganteil, eine funktionierende Kennzeichnung, Sammlung und Rückführung des Abfalls und wird daher in absehbarer Zeit die Deponierung Schritt für Schritt verbieten.

BTH Heimtex: Gehen Sie davon aus, dass es zukünftig auch für Bauprodukte und damit auch für Bodenbeläge eine Steuer geben wird?

Céline Quervel: Wir gehen fest davon aus, dass europaweit neue Zeiten angebrochen sind, und dass auch im Bausektor eine Besteuerung von Produkten und solchen Materialen kommen wird, deren Recyclingfähigkeit nicht gewährleistet ist. Der Bausektor wird als nächstes in den Fokus kommen, weil er für das zweitgrößte Volumen im Plastikverbrauch steht.

BTH Heimtex: Wie schätzen Sie die Recyclingfähigkeit von elastischen Bodenbelägen ein; beispielsweise von PVC, dem in dieser Gattung am häufigsten verwendeten Kunststoff?

Wendel: Alte, ausgediente PVC-Böden, die heute recycelt werden sollen, haben ein Problem: die Altlasten aus den alten und schlechten Weichmachern und Schwermetallstabilisatoren, die früher in der Produktion verwendet wurden und heute teilweise verboten sind. Dieses Material ist heute für eine Innenraumverwendung wertlos. Wir sind auch deswegen der Auffassung, dass der Rohstoff PVC eine Sackgasse ist, um ein funktionierendes und übergreifendes Recylingmodell im Rahmen der Transformation in eine Kreislaufwirtschaft zu errichten; selbst wenn man alle alten PVC-Produkte der Baubranche als Rohmaterial am Ende des Lebenszykluses poolen würde. Für die erneute Verwendung in Innenräumen besteht ein Verunreinigungsrisiko. Deshalb sollte ein solches Material nicht in Neuprodukte einfließen.

BTH Heimtex: Der von Classen unter anderem für die Boden- und Wandbeläge Neo und Vario entwickelte Werkstoff Ceramin besteht hauptsächlich aus dem Polyolefin Polypropylen. Hat dieses Material nicht auch mit den oben beschriebenen Problemen zu kämpfen?

Quervel: Wir achten in der Produktion sehr stark darauf, dass der gesamte Produktaufbau aus mineralischen Stoffen und PP ist - von der Folie bis hinunter zur Trittschalldämmung, die etwa aus PP-Schaum gefertigt wird. Nur so sind wir in der Lage, unsere Produkte als recycelfähig auszuloben.

Hans-Jürgen Hannig: Unsere Wand- und Bodenbeläge kommen zudem komplett ohne Weichmacher aus. PP ist ein sehr stabiler, sauberer und relativ junger Kunststoff ohne viele Zusätze, der lediglich mineralische Füllstoffe benötigt, die wir hinzugeben, um gewisse Eigenschaften zu erzielen. Bezeichnend ist, dass auch die Automobilindustrie und der Lebensmittelbereich sich zunehmend des Kunststoffs PP bedienen. Polypropylen lässt sich zudem sehr gut recyceln.

BTH Heimtex: Diese Eigenschaften spielen Ihnen bei den heute wichtigen Themen Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Recycling natürlich in die Karten. Aber als Sie sich vor sieben Jahren für den Rohstoff entschieden hatten, spielten solche Überlegungen sicherlich noch keine Rolle. Zu der heutigen Dynamik ist es ja erst später gekommen. Ist es damals vor allem eine Entscheidung gegen PVC gewesen?

Hans-Jürgen Hannig: Absolut. Es hat für Classen damals zahlreiche Möglichkeiten und auch vertriebstechnisch durchaus gute Gründe gegeben, in das Geschäft mit klassischen LVT aus PVC einzusteigen. Wir haben uns aber dagegen entschieden. Die Gesundheit rückt immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit und im sensiblen Innenwohnbereich ist ein verantwortungsvoller Umgang langfristig nur mit schadstofffreier Ware zu bewältigen. Dies gilt nicht nur in der Ausgestaltung von Innenräumen, sondern auch in der Produktion sowie im anschließenden Recycling. Der Ausschluss von gesundheitsschädlichen und krebserregenden Schadstoffen sollte heute zu jedem unternehmerischen Handeln gehören. Deshalb traf Classen die Entscheidung gegen PVC.

Tobias Hannig: Wir arbeiten bereits seit sieben Jahren mit viel Durchhaltevermögen an der Perfektion unseres Konzeptes. Daran haben sehr viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unseres Unternehmens gearbeitet. Auch wenn uns der Weg des Alternativwerkstoffes in den letzten Jahren viel Zeit gekostet hat, glauben wir fest daran, dass unser Konzept die nachhaltigste Lösung im Bodenbereich im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft ist. Der "Greenvinyl"-Boden von Classen ist beispielsweise der erste Vinylboden, der den Blauen Engel erhalten hat. (Details siehe Kasten Seite 33, Anmerk. d. Red.)

BTH Heimtex: Können Sie das näher erläutern?

Wendel: Polypropylen gehört zur Gruppe der Polyolefine, die im Jahr 2016 mit fast 24 Mio. t die mit Abstand größte Gruppe der insgesamt in der EU verwendeten Kunststoffe darstellte. Das sind hauptsächlich Verpackungen. Davon werden jährlich mehr als 15 Mio. t als Abfall über die dualen Systeme wie den Grünen Punkt eingesammelt, dem Recycling zugeführt und regranuliert. Diesen Wertstoffmarkt können wir seit Kurzem entlasten, eben weil wir PP verwenden. Wir garantieren einen sinnvollen Einsatz des recycelten PP in unseren neuen Produkten und verhindern eine Abfallbeseitigung durch Export oder Verbrennung.

BTH Heimtex: Warum erst seit Kurzem?

Wendel: Die Basis unseres nachhaltigen Handelns sind die Rahmenbedingungen des Blauen Engels, mit dem wir den allergrößten Teil unseres Sortimentes ausloben. Bisher wurden Recyclinganteile bis auf wenige Ausnahmen in den Vergabekriterien für den Blauen Engel nicht berücksichtigt. Seit dem Frühjahr 2021 erlauben diese nun auch den Einsatz von externen Recyclingmaterialien.

BTH Heimtex: Wie können die Kunststoffböden von Classen derzeit entsorgt werden?

Quervel: Sie brauchen weder verbrannt noch deponiert zu werden, im Unterschied zu vielen anderen Bodenbelägen. Sie gelten als Mischkunststoffe und können über die Recycling- und Wertstoffhöfe der Wiederverwendung zugefügt werden. Sie können im Anschluss in vielen Produktanwendungen des Polyolefinbereichs auch außerhalb der Bodenbelagsindustrie eingesetzt werden - sowohl im Recycling als auch im Upcycling.

BTH Heimtex: Woher wissen Bodenleger, die Altbeläge entsorgen, oder die Mitarbeiter auf den Wertstoffhöfen und der Entsorgungs- und Recyclingunternehmen, dass Böden von Classen wiederverwertet werden können?

Wendel: Mithilfe der Erkennung durch Infrarot-Spektroskopie in der Abfallsortierung steht einer Kanalisierung in die richtigen Polymer-Recyclingströme technisch nichts im Wege. Sicherlich besteht auf dieser Stufe allerdings praktisch noch Optimierungsbedarf. Wir arbeiten an einer einheitlichen und klaren Kennzeichnung beispielsweise auf der Unterseite der Beläge, sodass auch in weniger technisierten Sammelstellen eine klare Identifikation möglich ist. Auch unsere Kunden beraten wir diesbezüglich und stellen entsprechende Unterlagen zur Verfügung.

BTH Heimtex: Wie sehen Sie die bereits vorhandenen Aktivitäten für die Sammlung von Altbelägen in Deutschland?

Hans-Jürgen Hannig: Wir glauben nicht an die selektive Rückführung und ein Eins-zu-eins-Recycling von Bodenbelägen, weil es weder nachhaltig noch wirtschaftlich umzusetzen ist. Die Frage des Recyclings ist zudem gebunden an die Art des Kunststoffes. Das Design des Produktes entscheidet, ob es sich später bei der Entsorgung um Müll oder einen Wertstoff handelt. Dafür gibt es in Deutschland, aber auch zunehmend in der EU, bereits etablierte Entsorgungsströme, an die wir anknüpfen wollen. Ein Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie ist deshalb die Kooperation mit internationalen Partnern, um anderen PP-Verarbeitern ein weiteres Recycling aus unseren Produkten zu ermöglichen.

BTH Heimtex: Ist das auch der Beweggrund gewesen, warum Sie zusammen mit Hündgen, einem Recyclingunternehmen und Betreiber von Wertstoffsortieranlagen, im April diesen Jahres das Unternehmen HC Plastics gegründet haben?

Tobias Hannig: Mit diesem Schritt stellen wir sicher, dass die ehemaligen Kunststoffabfälle, die wir als aufbereitete Wertstoffe in unsere Herstellung einfahren, kontinuierlich von hoher Qualität sind. Damit betreiben wir übrigens ein Upcycling: vom Sekundärrohstoff zum hochwertigen Bodenbelag.

Hans-Jürgen Hannig: Gleichzeitig bringen wir bei HC Plastics Know-how zusammen für zukünftige Wertstoffquellen, Produktentwicklungen und Anwendungsbereiche. Immer mit dem Ziel, den Lebenszyklus der eingesammelten Kunststoffe zu verlängern. Unser Motto dabei lautet "Recycling meets Industry - Industry meets Recycling". Das hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt.

Wendel: Unsere Wettbewerber im Boden verfolgen unsere Aktivitäten in Bezug auf den Werkstoff Ceramin und die Auslobung mit dem Blauen Engel seit einigen Jahren mit wachsendem Interesse. Das ehrt uns. Wir sind offen für Synergien und sehen uns auch als Lieferanten von Trägerplatten, Oberflächen und für die Veredelung von Oberflächen. Wir haben unsere Plattenproduktion jüngst deutlich modifiziert und sind in der Lage, hochwertige Halbfertigteile und Fertigprodukte herzustellen. Und in Bezug auf kreislauffähige Bodenbeläge zeigen wir eine wettbewerbsfähige Alternative zu PVC-Belägen auf.

| Die Fragen stellte Jochen Lange
Redaktioneller Hinweis: Die Herren Hans-Jürgen Hannig, Tobias Hannig und Sebastian Wendel haben die Fragen schriftlich beantwortet.
"PVC ist im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft eine Sackgasse"
Foto/Grafik: Classen
Dr. Hans-Jürgen Hannig, 81, geschäftsführender Gesellschafter
"PVC ist im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft eine Sackgasse"
Foto/Grafik: Classen
Céline Quervel, 24, Marketing und Kommunikation
"PVC ist im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft eine Sackgasse"
Foto/Grafik: Hündgen
Sebastian Wendel, 49, Leiter Produktmanagement und Designentwicklung
aus BTH Heimtex 10/21 (Wirtschaft)