W. Classen GmbH & Co. KG

Classen schließt den Wertstoffkreislauf für Bodenbeläge

Recycelte Plastikverpackungen als Rohstoff für neue Bodenbeläge: Was nach Zukunftsmusik klingt, realisiert die familiengeführte Classen-Gruppe mit ihren Polypropylen- und Ceramin-Produkten. Im Interview erklären die Verantwortlichen, warum man in einem nächsten Schritt mit dem erfahrenen Recycling- und Entsorgungsunternehmen Hündgen, das gemeinsame Unternehmen HC Plastics gegründet hat.

Bodenbelagshersteller Classen wird von einem Mann geführt, der nach klaren Grundsätzen handelt und dabei auch Herausforderungen nicht scheut: dem alleinigen Gesellschafter Dr. Hans-Jürgen Hannig, der den Hersteller von Laminat-, Design- und Wandbelägen sowie Zubehör vor rund 60 Jahren gegründet und zusammen mit seiner Mannschaft zu einem der Top 3-Laminatbodenhersteller der Welt entwickelt hat.

Im Laufe der Jahrzehnte haben seine Mitarbeiter und der heute 81-Jährige mit ihren Entscheidungen - auch gegen Widerstände - für einige Überraschungen gesorgt - in der Branche und darüber hinaus: 2002 beispielsweise startet Classen die Produktion von Laminatböden im komplett neu errichteten Werk im brandenburgischen Baruth, dem bis heute modernsten Laminatwerk der Welt - weit entfernt vom Hauptstandort des Unternehmens im rheinland-pfälzischen Kaisersesch und unter großem finanziellen Einsatz. Viele Beobachter hatten im Vorfeld erhebliche Bedenken gegen diesen Schritt geäußert. Doch Hannig und sein Team setzen sich durch und der Erfolg des Projektes gibt ihnen bis heute Recht.

Auf dem PVC-freien Weg

Als Anfang der 2010er-Jahre PVC-Designbeläge zum Trendprodukt avancieren, geht Classen ebenfalls seinen eigenen Weg. Die Verantwortlichen haben eine grundsätzliche Abneigung gegenüber dem Ausgangsstoff PVC. Hannig errichtet deswegen weder eine eigene Produktion für LVT, noch importiert er im großen Stil aus Fernost wie fast alle anderen Anbieter zum damaligen Zeitpunkt. Stattdessen entwickelt er zusammen mit seinen Mitarbeitern den PVC-freien Designbelag Neo, der auf der Domotex 2014 Premiere feiert. Das Produkt basiert auf Polypropylen-ummantelten Holzfasern. Aber die Produkte funktionieren technisch nicht und müssen komplett vom Markt genommen werden. Die Markteinführung wird zum Desaster.

Ein schwerer Schlag für die Classen-Gruppe. Doch beirren und abbringen von ihrem Weg lassen sie sich in Kaisersesch nicht. Bereits ein Jahr später stellt Classen den selbst entwickelten Werkstoff Ceramin vor: einen ganz neuen Werkstoff auf Basis von Polypropylen (PP) und Steinmehl - ohne PVC, ohne Weichmacher, aber mit dem Blauen Engel zertifiziert.

50 Mio. EUR mit Polymer-Produkten

Mittelweile sind die PVC-freien Wand- und Bodenbeläge sowohl im DIY als auch im Fach- und Großhandel etabliert. Sie sind ein wichtiges Standbein der Gruppe geworden. Classen setzt mit ihnen heute mehr als 50 Mio. EUR um. Hans-Jürgen Hannig als geschäftsführender Gesellschafter hat auch hier wieder den richtigen Riecher und das nötige Standvermögen bewiesen.

Ein weiterer Vorteil der neuen Produktgattung von Classen: Sie besteht aus PP und mineralischen Stoffen. Die Produkte eignen sich deswegen einerseits gut für das Recycling im Rahmen der Kreislaufwirtschaft. Da PP zur Gruppe der Polyolefine gehört, zu denen auch viele Kunststoffverpackungen zählen, kann Classen für die Herstellung seiner Böden in Deutschland andererseits auf ein großes Reservoir von ebenfalls recycelten Kunststoffen beispielsweise aus dualen Systemen wie dem Grünen Punkt zurückgreifen.

Im April 2021 folgte deshalb der nächste Schritt, der für Aufsehen gesorgt hat: Classen hat mit dem erfahrenen Recycling-, Wertstoff- und Entsorgungsunternehmen Hündgen mit Sitz westlich von Bonn das gemeinsame Unternehmen HC Plastics gegründet. Was es mit diesem in der Bodenbelagsbranche einmaligen Schritt in eine vorgelagerte Wertschöpfungsstufe auf sich hat, erklären der geschäftsführende Gesellschafter Hans-Jürgen Hannig, sein Sohn und Geschäftsführer Tobias Hannig, Sebastian Wendel, Leiter Produktmanagment und Designentwicklung, sowie Céline Quervel, die Enkeltochter von Hans-Jürgen Hannig, die seit Anfang 2020 ebenfalls im Unternehmen in unterschiedlichen Bereichen tätig ist, im Interview auf der nächsten Seite.


"Vinyl" mit dem Blauen Engel

Die Classen-Gruppe vermarktet den Designbelag Greenvinyl aus Polypropylen (PP) als ersten Vinylboden mit dem Blauen Engel. In der Chemie wird mit Vinyl eine funktionelle Molekül-Gruppe bezeichnet. Polyvinylchlorid (PVC) ist dabei nur eine von vielen möglichen Vinylverbindungen, die zur Herstellung von Polymeren eingesetzt werden können. Ein Vinylboden wie Greenvinyl kann deswegen PVC-frei sein. Vinyl wurde bisher innerhalb der Bodenbranche ausschließlich als Synonym für Bodenbelägen aus PVC genutzt. |jl
Classen schließt den Wertstoffkreislauf für Bodenbeläge
Foto/Grafik: Classen
Ecovinyl Eiche Alpin
Classen schließt den Wertstoffkreislauf für Bodenbeläge
Foto/Grafik: Classen
Kaum 22 Jahre alt, gründete Dr. Hans-Jürgen Hannig als Student sein erstes Unternehmen für Holzprodukte. Später ging es weiter mit Paneelen, Leisten, Fertigmöbeln, dann mit Laminat- und Polymerböden. Charakteristisch für Hannigs unternehmerischen Charakter ist das schnelle Handel, das bei Classen durch flache Hierarchien und kurze Entscheidungswege begünstigt wird.
Classen schließt den Wertstoffkreislauf für Bodenbeläge
Foto/Grafik: Classen
Ausgediente und aufbereitete Plastikverpackungen, sogenannter Sekundärrohstoff (im Bild Polypropylen), dienen Classen als Basis für seinen selbst entwickelten und PVC-freien Werkstoff Ceramin, aus dem im Upcycling unter anderem neue Bodenbeläge hergestellt werden.
aus BTH Heimtex 10/21 (Wirtschaft)