Forbo Flooring: Martin Thewes und Jens Puda im Interview

"Wir wollten gerne zur BAU, aber nicht um jeden Preis"


Man sagt: Eine Krise bietet immer auch Chancen für etwas Neues. Bei Bodenbelagshersteller Forbo Flooring sind Geschäftsführer Martin Thewes und Marketingleiter Jens Puda davon überzeugt, dass die Corona-Krise dauerhafte Auswirkungen auf ein verändertes Kommunikationsverhalten haben wird. Durch digitale Kommunikationsformen konnten die Paderborner die Zahl der Kundenkontakte seit Mitte März 2020 verdreifachen. FussbodenTechnik fragte nach, wie Forbo mit den Verlegern in Kontakt bleibt und warum man sich Ende Juli gegen einen Messestand auf der Leitmesse BAU entschieden hat.

FussbodenTechnik: Herr Thewes, Sie stellen mit Forbo Flooring aktuell besonders schnelle Bodenbeläge in den Mittelpunkt. Welche Bedeutung haben Loose-Lay-Produkte, die eben gerade nicht klassisch fest verklebt werden?

Martin Thewes: Wir denken bei Loose-Lay einerseits an technische Merkmale wie Dimensionsstabilität, thermoplastische Eigenschaften, Stuhlrollenbelastungen, aber andererseits haben wir mit unseren Kollektionen den Markt und die Handwerker im Blick. Wir wissen alle, dass die zur Verfügung stehenden Verlegekapazitäten tendeziell abnehmen werden. Handwerksbetriebe finden kaum Nachwuchs. Die Bodenleger werden also überlegen, wie sie ihre Verlegeleistung pro Mitarbeiter optimieren können. Stellt die Industrie Produkte zur Verfügung, die einen hohen Verlegeaufwand bedeuten, wird sich der Markt hin zu den Alternativen orientieren.

Ein weiterer Aspekt ist die Kreislaufwirtschaft und das kommende PVC-Recycling, das im Fall von fest verklebten Bodenbelägen erschwert ist, wenn diese mit Spachtelmasse und Kleber verunreinigt sind und sich nicht sortenrein trennen lassen.

Jens Puda: Die feste Verklebung von Bodenbelägen im Objekt wird es immer geben, aber Loose-Lay-Beläge bieten neue Möglichkeiten, ähnlich wie die Digitalisierung beim Kommunikationsverhalten. In der Evolution der Bodenbelagsentwicklung gab es anfangs Nut und Feder plus Verleimung, später Klicksysteme und mittlerweile unterschiedliche Arten der Verbindungen wie offene und verdeckte Schwalbenschwanzprofile. Die Entwicklung reicht bis zu unserer Allura Ease, wo die Konstruktion aufgrund ihres Gewichtes überhaupt keine Verbindung mehr benötigt. Damit erweitern wir den Variantenreichtum der Verlegearten. Es geht nicht um die Frage, ob Loose-Lay-Beläge weniger handwerkliche Leistungen erfordern, sondern der Verleger hat dank seiner Fachkenntnisse noch mehr Möglichkeiten, um dem Kunden die passende Lösung anzubieten.

FT: Im FussbodenTechnik-Interview hat der Vorsitzende des Fachverband der Hersteller elastischer Bodenbeläge (FEB), Volkmar Halbe, das Thema Kreislaufwirtschaft als große Herausforderung bezeichnet. Wie ist Ihre Einschätzung?

Thewes: Die Kreislaufwirtschaft ist ein sehr bedeutsames Thema für den Verband, weil sich die Gesetzgebung hinsichtlich PVC in den nächsten Jahren verschärfen wird. Die Frage ist, schafft es die PVC-Industrie - nicht nur die Bodenbelagsindustrie - freiwillige Systeme zu implementieren, die die Anforderungen der Politik erfüllen. Wenn das nicht der Fall ist, wird es legislative Regelungen auf europäischer Ebene geben.

Fürs Handwerk bedeutet das: Wenn die Beschränkungen für die feste Verklebung steigen, wird sich der Markt automatisch ein Stück weit Richtung Loose-Lay entwickeln. So würde sich die Attraktivität der beiden Systeme verschieben. Der Anteil an Loose-Lay-Produkten wird zukünftig auf jeden Fall größer sein als heute.

Puda: Für uns ist es tagtäglich eine Herausforderung, das Spannungsfeld aus handwerklicher Tradition einerseits und Innovation andererseits so zu gestalten, dass wir unsere Kunden auf diesem Weg mitnehmen und begleiten. Die Industrie ist nicht nur dazu da, ein Produkt für einen adäquaten Preis bereitzustellen. Wir sind auch gehalten, gute Lösungen und Support anzubieten und die Denkweise des Kunden zu vertiefen und ihnen zur Seite zu stehen. Der Kontakt zum Handwerk hat seit Mitte März 2020 verstärkt auf digitalem Wege stattgefunden, sei es per Video-Web-Telefonie wie "Teams", Webinar, per Telefon oder E-Mail.

Thewes: Das Umschalten auf digitale Prozesse musste funktionieren und es hat funktioniert. Und es wird unser zukünftiges Verhalten dauerhaft prägen: Wir werden nie wieder so viele Präsenzmeetings mit unseren Verkaufsleitern in Paderborn haben wie früher. Die Abstimmung zwischen Verkaufsleitern und den Kollegen ist dank Videokonferenzen viel einfacher geworden. Wenn man die ganze Breite der Möglichkeiten nutzt, hat die digitale Kommunikation viele Vorteile. In unserer Kommunikation mit dem Handwerker wird der Generationenübergang von den heutigen Babyboomern zu den heute 30-Jährigen die Digitalisierung zusätzlich befeuern. Die Digitalisierung wird vor unserer Branche nicht Halt machen. Vielleicht als Beispiel folgende Bilanz: Früher sind wir bei Außendienstkollegen von einer Kontaktzahl von vier bis fünf Architekten und Handwerkern pro Tag ausgegangen. Durch neue Kommunikationswege haben wir diese Zahl verdreifacht - ein positiver Nebeneffekt.

FT: Wird auch die Anwendungstechnik künftig Beratungen mit der Handy-Kamera auf der Baustelle durchführen?

Thewes: Das kommt immer auf den Einzelfall an. Eine Ferndiagnose für die Untergrundvorbereitung zu stellen - da wäre ich alleine aus haftungsrechtlichen Gründen vorsichtig. Wenn es allerdings um das Verschweißen von Bodenbelägen geht, kann der Anwendungstechniker auch per Handy erkennen, ob tief genug gefräst wurde, die richtige Düse des Verschweißgeräts gewählt wurde und ob die Temperatur stimmt. Dafür muss der Anwendungstechniker nicht vor Ort sein.

Puda: Wir haben verstärkt kleine Videos gedreht, ohne große technische Ausstattung. In einem Fall hat die Ehefrau des Anwendungstechnikers mit dem Handy gefilmt, wie man eine Naht fachgerecht verschweißt. Dieses Video wurde an den Kunden verschickt und anschließend haben beide dazu telefoniert. In einem solchen Fall erwartet niemand ein perfektes Video.

FT: An welcher Stelle kommen digitale Kommunikationsformen an ihre Grenzen? Kann man eine attraktive Messe-Präsentation ersetzen?

Thewes: Natürlich ist eine attraktive Produkt-Präsentation nur schwierig digital zu leisten. Digitale Kanäle haben in der Kommunikation die Voraussetzung, dass man sich bereits kennt, ein eigenes Netzwerk basiert auf Vertrauen, Verlässlichkeit und persönlicher Bindung. Die Handwerker brauchen in erster Linie Sicherheit - und die vermittelt das Produkt, der Hersteller aber auch derjenige, der beides repräsentiert. Aus diesem Grund geht es natürlich nicht ohne den persönlichen Kontakt. Darum investieren wir jedes Jahr in unsere Personalstärke vor Ort. Wir verdichten unser Außendienst-Netzwerk, um tiefer im Markt präsent und für Handwerker ansprechbar zu sein. Der Handwerker profitiert davon, dass unsere Mitarbeiter in einem sehr frühen Stadium an neuen Projekten dran sind. Das heißt, wir können Werte generieren, indem wir ihm Informationen zu kommenden Projekten geben und ihn an unserem Architekten-Netzwerk teilhaben lassen. Das ist eine starke Bindung, die so entsteht.

FT: Und andersherum sind Architekten auch an einer fachgerechten, gelungenen Verlegung interessiert.

Thewes: Der Architekt sagt ganz klar: Der Belagshersteller ist für mich nur etwas wert, wenn ein gutes Handwerker-Netzwerk dafür sorgt, dass das Projekt ohne Probleme realisiert wird. In diesem Dreieck aus Entscheider, Handwerker und Industrie ist die persönliche Präsenz und Betreuung nach wie vor von entscheidender Bedeutung.

FT: Ende Juli hat sich Forbo gegen die Teilnahme an der BAU 2021 entschieden - warum?

Thewes: Wir waren angemeldet, und es war auch unsere feste Intention dort auszustellen - aber nicht um jeden Preis. Wir haben intensive Gespräche mit dem FEB und der Messe BAU geführt und die verschiedenen Aspekte gegeneinander abgewogen. Es war uns insgesamt zu unsicher. Wir wollten unsere eigenen Standards gegenüber Kunden und Mitarbeitern nicht über den Haufen werfen.

Für uns ist nicht klar, ob unsere Kunden überhaupt zur Messe reisen möchten, und ob wir aufgrund von Hygienebeschränkungen Besucher am Messestand abweisen müssen. Das hat für uns den Ausschlag gegeben.

Puda: Für unsere Kunden muss eine Messe einen Erlebniswert bieten, ein Highlight und ein großes Markenerlebnis sein. Das war am Ende des Tages nicht gewährleistet.
aus FussbodenTechnik 05/20 (Wirtschaft)