"Das Material ist schwer zu trennen, die gewonnene Menge nicht ausreichend"

Wie recyclingfähig sind textile und elastische Bodenbeläge?

Die Industrie spürt den Druck von Politik und Öffentlichkeit. Es wird der Tag kommen, da keine Produkte mehr in Umlauf gebracht werden dürfen, deren Materialien man nicht wiederverwerten kann. Jede Branche ist aufgerufen, ihren Beitrag zu leisten. Wie das bei Bodenbelägen funktionieren kann, skizzierte Dr. Edmund Vankann, Geschäftsführer der Gemeinschaft umweltfreundlicher Teppichboden (GUT) und der European Carpet and Rug Association (ECRA), auf dem 12.Fußbodenkolloquium des IHD in Dresden zusammen mit Jane Gardner, Managing Director am European Resilient Flooring Manufacturer’s Institute (ERFMI).

Klimawandel, Ressourcenverbrauch, Mikroplastik, Artensterben - alles sind einzelne Katastrophen und alle beeinflussen sich gegenseitig. 2030 werden rund 8,6 Mrd. Menschen auf einer Erde leben, die immer weniger Raum bietet. Recycling nutzbarer Stoffe ist alternativlos, soll der anhaltende, weltweite Konsum nicht zum Kollaps führen.

Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 81,6 Mio. m2 Teppichboden und 76,7 Mio. m2 elastische Bodenbeläge verkauft. Diese Böden liegen noch. Aber können sie zum Ende ihrer Lebensdauer nach 10 bis 20 Jahren wiederverwertet werden? Dr. Edmund Vankann: "Heute werden die meisten Altbeläge thermisch verwertet, also verbrannt."

Um das künftig zu vermeiden, müssten Produkte so hergestellt werden, dass sie überhaupt erst ein Recyclingpotenzial besitzen. Das geht nur, wenn die einzelnen Komponenten des Bodenbelags später leicht trennbar sind. Bisher ist das kaum der Fall. Ein Teppich besteht in der Regel aus mehreren Materialien: oben aus den Kunststoffen Polypropylen, Polyamid 6, Polyamid 66, Polyester (PET bzw. PTT), PVC aber ebenso aus Wolle, Jute oder Sisal. Getuftete Beläge sitzen dazu auf Trägerschichten aus Latex, TP-Elastomeren, Bitumen, PVC oder Polyurethan. Gefärbt sind die Garne mit Pigmenten und Farbstoffen, die beim Polymer-Recycling ohne Entfärbung stets in einem braunen Produkt enden. Dr. Vankann: "Außerdem altern die Polymere und das erschwert die Herstellung neuer Fasern." Von den eigentlich natürlichen Stoffen wie Wolle, Jute und Sisal gar nicht zu reden. Die werden geschreddert und zu einem "Rohstoff" mit der schönen, englischen Bezeichnung "refuse-derived-fuel" (RDF). Was nichts anderes bedeutet als "Brennstoff aus Abfall".

Dieses Schicksal teilen auch Beläge aus Polypropylen, Polamid 66 und Polyester. In reiner Form wären Polfasern von PP bis PET durchaus stofflich zu recyclen. Teilweise ist auch eine chemische Wiederverwertbarkeit gegeben. Die hält Dr. Vankann übrigens für besonders vielversprechend. Bislang aber scheint einzig Polyamid 6 ein Material zu sein, für das eine Wiederverwendung gefunden wurde. Sogar ein mehrfacher Kreislauf ist für Polyamid-6-Fasern denkbar. Technische Systeme dafür gibt es bereits. Der Haken dabei: Die Menge an alten Teppichböden dieser Art ist zu gering, um eine eigene Kreislaufwirtschaft aufzubauen.

Deshalb hat sich die Bodenbelagsindustrie in der "Circular Plastics Alliance" mit anderen Industrien zusammengetan, um ihre Altprodukte in einen größeren Topf zu werfen. Die Verpackungsindustrie besetzt darin den meisten Platz. Für die Teppichindustrie wurde zunächst ein "Produkt-Pass" entworfen, der alle nötigen Informationen über das Produkt und seine Materialien enthält. Das ist Voraussetzung, um in eine Wiederverwertung eingespeist zu werden.

"Designed for recycling"

Die Zukunft fordert jedoch einen besseren Ansatz, nämlich Produkte von Anfang an so zu gestalten, dass sie später problemlos recyclet werden können. Dazu müssen jene Polymere miteinander kombiniert werden, die sich wieder leicht trennen lassen. Das Augenmerk sollte dabei auf chemischer Verwertbarkeit liegen, einschließlich des Verzichts auf Additive und Füllstoffe, die das Recyclen erschweren.

Und was bedeutet das künftig für die Teppichindustrie? Um die Menge an wiederverwertbaren Produkten zu steigern, muss der Herstellungsprozess neu gedacht werden. Schon im ersten Designschritt gilt es, die spätere Wiederverwertbarkeit einzubauen. Das funktioniert nur, wenn auch die Entwicklungsabteilungen der Zulieferer sich mit dieser Frage auseinandersetzen.

Recyclingpotenzial ist, laut Dr. Vankann, durch drei Hauptpunkte charakterisiert: 1. Verfügbarkeit von Polymer-Material, 2. Wiederverwertbarkeit von Polymer-Material und 3. der Menge von verwertbarem Altbelag.

Solange aber Recycling-Unternehmen nichts über Teppiche wüssten, so Dr. Vankann, würden sie die rausgerissenen Beläge in den Ofen schicken. Gegensteuern soll zunächst der erwähnte Teppich-Pass mit derzeit rund 4.500 Produkten registrierter Auslegeware. Am Ende braucht es jedoch ein grundlegend verändertes Geschäftsmodell auf der Basis neuester Technologien, um Teppichböden mit der Transparenz für wirtschaftliche Wiederverwertung auszustatten.

Elastische Bodenbeläge machen mit

In der Initiative "Circular Plastics Alliance" ist auch der Europäische Verband für resiliente Bodenbeläge (ERFMI) vertreten. Dessen 17 Mitglieder stellen jährlich mehr als 370 Mio. m2 Bodenbelag aus PVC, anderen thermoplastischen Kunststoffen, Kautschuk, Linoleum und Kork her. Auch sie fühlen sich gefordert. "Die EU-Kunststoffstrategie treibt den Wandel für unsere Branche voran", sagt Jane Gardner. Ab 2021 tritt das Verbot von Einwegkunststoffen in Kraft. Bis zum Jahr 2025 will man den Einsatz von 10 Mio. t Recyclingkunststoff in neuen Produkten sehen.

Dazu soll die Industrie ihre Rezepturen und das Design von Kunststoffprodukten in Richtung einer optimierten Recyclingfähigkeit voranbringen und bislang ungenutzte Potenziale innerhalb der Wertschöpfungskette und beim Abfallmanagement identifizieren. Jane Gardner: "Noch ist es eine freiwillige Aktion, aber sollte dies nicht effektiv sein, sind strenge Maßnahmen in Form von verbindlichen Recyclingquoten möglich."

Italien ist in dieser Frage Vorreiter und verlangt bereits, dass beim Bau der Gehalt an verwertetem Sekundärrohstoff mindestens 30 Gewichtsprozent beträgt, bezogen auf die Summe aller in einem Gebäude verwendeten Kunststoffkomponenten. In England gibt es Recofloor, ein 2009 von Altro und Polyflor gegründetes Sammelsystem von Altbelägen und Verlegeresten. In Oreade, Frankreich, arbeitet Vinyl-Plus mit dem Unternehmen Suez zusammen, um deren Verbrennungsanlage für die Annahme von PVC-Abfall vorzubereiten und am Ende durch eine Rauchgasbehandlung NaCl (Salz) zu gewinnen. Und in Deutschland betreiben die Firmen Altro, Gerflor, Polyflor and Tarkett eine Recycling-Anlage in Troisdorf, wo Betriebsabfälle aus Österreich, Frankreich, Deutschland und der Schweiz in den Bodenbelag zurückgeführt und Altbodenbeläge für die Herstellung von Baumembranen und Schallschutzprodukten eingesetzt werden.

Forschung dauert noch Jahre

Aktuell läuft mit Förderung der EU das sogenannte "Circular Flooring Projekt - H020". Es startete im Juni 2019, dauert vier Jahre bis Juni 2023 und hat zum Forschungsziel, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem Weichmacher aus PVC-Altböden entfernt und recycletes PVC mit höchster Qualität zurückgewonnen werden kann. Außerdem sollen die dabei gewonnenen Weichmacher zu neuen, phthalatfreien Weichmachern aufbereitet werden. Schlussendlich können dann sowohl das PVC wie die rückgewonnenen Additive wieder in neuen Bodenbelägen Anwendung finden.

Ein weiteres Problem der Wiederverwertung ist die Materialtrennung von mehrschichtigen Produkten. Auch hieran wird eifrig geforscht. "Die meisten der neuen Verfahren zur Delaminierung von mehrschichtigen Produkten basieren auf der Anwendung von verschiedenen Lösemitteln", erläutert Jane Gardner. "Zurzeit werden Verfahren in Australien und Belgien getestet."

Um Kräfte zu bündeln, haben die Fachverbände ERFMI, ECRA, EPLF und MMFA im Januar 2019 einen Dachverband gegründet, die European Floor Coverings Association (EUFCA). Dort hat man sich zur Aufgabe gesetzt, gemeinsame Probleme anzugehen. Während sich das noch recht allgemein anhört, ist das Projekt "Horizon 22" schon konkreter. Es will die Zusammenarbeit der Hersteller in Bezug auf Recycling forcieren, damit beim Sammeln von elastischen Bodenbelagsabfällen und Altbelägen so viel Volumen anfällt, dass dieses Material für die wirtschaftlich orientierte Kreislaufökonomie von Interesse wird.
aus FussbodenTechnik 02/20 (Wirtschaft)