Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz

"Wir müssen Handwerksberufe für junge Menschen und deren Eltern attraktiv machen"


Roland Brecheis, Vorsitzender des Bildungsausschusses im Bundesverband Farbe -Gestaltung Bautenschutz, begrüßt die Initiative Abitur + Gesellenbrief. Er wünscht sich mehr Betriebe, die daran teilnehmen. Auch die Innungen könnten sich engagieren.

BTH Heimtex: Warum streben immer weniger Schulabsolventen in Deutschland eine Ausbildung im Handwerk an?

Roland Brecheis: Der Lehrlingsmangel ist kein hausgemachtes Problem. Demografische Faktoren spielen ebenso eine Rolle wie der Akademisierungswahn. Über Jahre wurde Deutschland von der OECD in die bildungspolitische Ecke gedrängt, weil wir angeblich zu wenig Studierende hätten. Verkannt und ignoriert wurde dabei die Bedeutung des Dualen Systems als Garant hochwertiger Berufsausbildung. Hier konnte durch kontinuierliche Intervention des Handwerks eine beginnende Trendumkehr erreicht werden. Betrug die Studienanfängerquote 2015 noch 58,2 %, sank sie nach vorläufiger Zählung im Jahr 2016 auf 55,5 %.

BTH Heimtex: Was halten Sie von dem Projekt Abitur + Gesellenbrief in Kooperation mit der Unternehmensgruppe Heinrich Schmid?

Brecheis: Wichtig ist, dass wir Handwerksberufe für junge Menschen und ihre Eltern gleichermaßen attraktiv machen. Für die Jugendlichen muss der Beruf "cool und sexy" sein, die Erziehungsberechtigten wünschen vor allem, dass es ihrem Kind einmal besser geht. Hier müssen wir aufzeigen, dass das Handwerk diese Anforderungen in vielfältiger Weise erfüllt. Dazu kann und darf es nicht dabei bleiben, ausschließlich mit attraktiven Aufstiegs- und Karriere-möglichkeiten für das Handwerk zu werben.

Initiativen wie Abitur + Gesellenbrief signalisieren der Öffentlichkeit, hier tut sich was im Handwerk. Bei genauer Betrachtung dieser Initiative steht zwar in der Wahr-nehmung nicht die Berufsausbildung an erster Stelle, sondern das - bislang gesellschaftlich immer noch höher geachtete - Abitur. Für Handwerksmeister ist das auf den ersten Blick vielleicht etwas deprimierend. Aber der Köder Abitur + Gesellenbrief muss in erster Linie den Jugendlichen sowie ihren Eltern schmecken und nicht unbedingt dem Handwerksmeister. Was am Ende zählt ist, wie viele junge, motivierte Menschen wir gewonnen haben, um dann über eine gute Ausbildung Fachkräfte für unsere Betriebe zu generieren.

BTH Heimtex: Sollten weitere Unternehmen diesem Beispiel folgen?

Brecheis: Jede Initiative, die die Möglichkeiten vorhandener Ordnungsmittel nutzt und zu einer Imageverbesserung unseres Handwerks beiträgt, ist zu begrüßen. Sicher ist es für große Unternehmen einfacher, etwas auf den Weg zu bringen. Im Übrigen betreibt Heinrich Schmid diesen Bildungsgang nicht als "closed shop". Die Führungs-akademie des Unternehmens ist offen für alle Betriebe.

Lassen Sie mich an dieser Stelle an einen grundsätzlichen Innungsgedanken erinnern, der die Berufsausbildung als ein zentrales und gemeinsames Anliegen festschreibt. Vielleicht schaffen wir es ja in Zukunft mehr als bisher, über den Verbund der unterschiedlichen Betriebe und Einrichtungen interessante Karrierewege zu öffnen.

BTH Heimtex: Gewinnt man mit dem Projekt tatsächlich junge Menschen für das Handwerk?

Brecheis: Ja. Mehr ist eigentlich zu dieser Frage nicht zu sagen. Selbst wenn wir die jungen Leute mit Abitur und Berufsabschluss als Bauten- und Objektbeschichter oder Maler und Lackierer nicht dauerhaft in unserem Handwerk beschäftigen, weil sie im Anschluss Architektur oder Philosophie studieren, haben wir ihnen ganz wichtige Erfahrungen mit auf ihren Lebensweg geben können. Sie können jeder für sich entscheiden, was der bessere Weg ist: das "verkopfte System", das wir als Dominante in unserer Gesellschaft permanent beklagen, oder das "duale System", das wir Handwerker leben.
aus BTH Heimtex 04/17 (Wirtschaft)