IWM, BEB und IBF: Fließestrich-Forum 2015 in Marienfeld

Estrichwissen hinter Klostermauern


Der Estrichmörtelmarkt entwickelt sich weiter positiv. So lautete die Botschaft von Antje Hannig, Geschäftsführerin -Technik im Industrieverband Werkmörtel (IWM), und Bernfried Hansel vom BEB-Arbeitskreis Calciumsulfatestrich an die rund 90Teilnehmer zu Beginn des zweiten Fließestrich-Forums. In sieben Fachvorträgen erhielten die anwesenden Estrichleger, Planer und Sachverständigen Einblicke in aktuelle Trends und Entwicklungen.

Nach Speyer im Vorjahr wagte sich das Fließestrich-Forum diesmal in den Norden: ins Hotel Klosterpforte nach Marienfeld. Dem Erfolg der Veranstaltung von Industrieverband Werkmörtel (IWM), Bundesverband Estrich und Belag (BEB) sowie dem Institut für Baustoffprüfung und Fußbodenforschung (IBF) tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil, 90 Teilnehmer lauschten den Ausführungen der sieben Referenten.

Antje Hannig, Geschäftsführerin Technik im IWM, nutzte die Gelegenheit, um über die im November 2015 überarbeitete Estrichnorm DIN 18560-1 zu informieren. Neu aufgenommen ist unter anderem die CM-Messung des Restfeuchtegehalts zur Beurteilung der Belegreife. Calciumsulfatestriche gelten jetzt ab einem Feuchtegehalt 0,5 CM-% als belegreif. Der IWM begrüßt die Änderung und beurteilt die neuen Werte als praxisnäher. "Der bislang beschriebene Wert von 0,3 CM-% bei beheizten Calciumsulfatestrichen hat im Baustellenalltag durch unnötig lange Trocknungszeiten immer wieder zu Verzögerungen geführt", meinte Antje Hannig. Der Verband hatte sich in der Normenarbeit daher für eine Lockerung auf 0,5 CM-%, sowohl für unbeheizte als auch für beheizte Calciumsulfatestriche, eingesetzt. Durch die Aufnahme der CM-Prüfung in den Teil 1 der Norm stärke der Normenausschuss zudem die Bedeutung der Messmethode.

FussbodenTechnik fasst die Vorträge aus Marienfeld zusammen.


Wolfgang Frey, Architekt: Bauen für die Zukunft
These: Moderne Architektur sollte mehrere Funktionen parallel erfüllen, z.B. Kühlung durch Wasser, Energieproduktion durch Solaranlagen auf dem Dach und Gärten mit Nutzpflanzen für die Bewohner.

Inhalt: Architekt Wolfgang Frey hielt einen kurzweiligen Vortrag über das Bauen in der Zukunft. Dabei zeigte er anhand zahlreicher Objektbeispiele auf, wie sich nachhaltige Bauweisen der Vergangenheit auf die Architektur der Gegenwart übertragen lassen. Am Beispiel von traditioneller Schwarzwaldarchitektur von vor 150 Jahren, die von horizontalen Brettern an der Fassade, einem Dachüberstand und einem umlaufenden Balkon geprägt war, plädierte er für handwerkliches und regionales Denken seines Berufsstandes. Die moderne Architektur vermeidet die beschriebenen Merkmale bewusst, um besonders innovativ zu wirken. Seine eigenwillige Kurzformel lautete: "Es muss nicht alles nach Müsli aussehen, wo öko drin ist." Architekten müssten nach Freys Meinung mehr Mut haben und dabei handwerklich und regional denken.

Andres Seifert, Industriegruppe Estrichstoffe (IGE): Gips und Wasser - eine gute Symbiose für den Fußboden
These: Das Mineral Gips ist ein uralter Baustoff, von dem man erwartet, dass er genauso ein Baustoff für die Zukunft sein wird.

Inhalt: Andres Seifert von der Industriegruppe Estrichstoffe (IGE) erläuterte das Zusammenwirken von Gips und Wasser. Gips wird als Baustoff für Stuckarbeiten, Gipsplatten, Gipsputz und natürlich auch für Calciumsulfatestriche verwendet. Für alle diese Einsatzgebiete braucht der Gips Wasser zum Abbinden. Das kennt der Estrichleger auch von vier möglichen Estrichbindemitteln: Naturanhydrit aus dem Bergbau, synthetischer Anhydrit aus der Flusssäureproduktion, thermischer Anhydrit und Alpha-Halbhydrat, beide aus REA-Gips, der in Kohlekraftwerken anfällt.

Als Zuschläge bei Claciumsulfatestrichen sind besonders gewaschener Quarzsand sowie gebrochener Kalkstein und Naturanhydrit üblich. Damit der Fließestrich funktioniert, braucht man noch Zusätze wie Anreger, Verzögerer, Fließmittel und Stabilisatoren.

Die genannten Bindemittelmaterialien haben unterschiedliche Eigenschaften in Bezug auf das Abbindeverhalten und den Wasserverbrauch beim Anmischen. "Chemisch gesehen ist aber alles das Gleiche, nur die Kristalle sind etwas anders aufgebaut und reagieren dann verschieden", erläuterte Seifert. Seine Grenzen findet Gips im Nassbereich, wo man Wasserwechsel hat, d.h. in Schwimmbädern, Gemeinschaftsduschen, Küchen und im Außenbereich sollte man auf ihn verzichten.


Daniel Rendler, Rendler Estrichbau: "Hätte ich geahnt, dass da kein richtiger Estrich reinkommt!" - Praxiserfahrungen beim Einbau von Calciumsulfatfließestrichen
These: Die Folgen einer schlecht vorbereiteten Unterkonstruktion des Estrichs können vielfältig sein und führen in der Regel zu Problemen wie Spannungsrissen, Schallbrücken, Verzögerungen des Bauzeitenplans und Mehrkosten für Wartezeiten.

Inhalt: Der Estrichsachverständige Daniel Rendler stellte zunächst die grundsätzlichen Anforderungen eines Estrichs dar. Nach DIN 18560 muss ein Estrich hinsichtlich seiner Dicke, mechanischen Eigenschaften und Rohdichte möglichst gleichmäßig sein, eine ebene Oberfläche nach den Ebenheitstoleranzen der DIN 18202 aufweisen und eine für seine Eignung bestimmte Oberflächenfestigkeit haben. Um das zu erreichen, muss der Untergrund unter dem Estrich betrachtet werden, damit man die gleichmäßige Schichtdicke hinbekommt. Tatsächlich liegen auf der Rohbetondecke häufig Leitungen kreuz und quer. Eine Dämmstoffverlegung durch Zuschneiden von Dämmstoffen ist quasi nicht möglich. Kabel und Rohrleitungen können in einem solchen Fall durch gebundene Schüttungen oder einen Ausgleichsmörtel ausgeglichen werden. Erst ab der Oberkante des Ausgleichs sollte der eigentliche Aufbau des Fußbodens beginnen.

Wichtige Hinweise zum Ausgleich findet man in dem BEB-Hinweisblatt "Hinweise Rohre, Kabel und Kabelkanäle auf Rohböden", Stand April 2015, erhältlich im Downloadbereich unter www.beb-online.de. Der stellvertretende Obmann des BEB-Arbeitskreises Calciumsulfatestrich empfahl die stärkere Kommunikation unter den einzelnen Gewerken gemeinsam mit Bauherrn und Bauleitung. Dies helfe, kleine, aber meist folgenschwere Fehler zu vermeiden.

Heinz-Dieter Altmann Fließestrich und Fliese - Was ist zu beachten?
These: Calciumsulfatestriche sind generell sehr gute Verlegeuntergründe für "harte" Beläge wie keramische Fliesen und Platten, Natur- und Betonwerkstein, wenn bestimmte Richtlinien bzw. stoffliche Bedingungen beachtet werden.

Inhalt: Besonders geeignet sind Calciumsulfatestriche wegen ihres geringen Verformungsverhaltens für empfindliche Beläge aus dünnen Natursteinplatten. Außerdem haben sie Vorteile bei Fußbodenkonstruktionen mit Warmwasserfußbodenheizungen, weil durch ihre Volumenstabilität mit größeren Feldgrößen geplant werden kann. Es entfallen damit zusätzliche Fugen, die immer Schwachpunkte sind. Worauf muss man bei Fugen achten?

Fugen bei Calciumsulfatestrichen:
-nach den technischen Vorgaben des Lieferanten
-in der Regel bei Feldgrößen > 100m2 bzw. Seitenlängen > 10 m (bei quadratischen und gedrungenen rechteckigen Flächen sind größere Felder möglich)
-bei Einengungen oder Erweiterungen der Estrichfläche und in Türdurchgängen (Grundrisslänge über 5 m) bei mehreren hintereinander angeordneten Räumen einer Wohnung
-bei Estrichen mit unterschiedlich regelbaren Heizkreisen
-in Türdurchgängen zwischen fremden Wohn- und Arbeitsbereichen (Schallschutz)

Im Gegensatz dazu Fugen bei Zementestrichen:
-Feldgrößen ca. 40 m2
-bei entsprechend konzipierten Bindemitteln auch Feldgrößen bis 70 oder 80m2 möglich
-nach Erreichen der Belegreife sind größere Flächen durch Scheinfugenverschluss möglich
-bei Estrichen mit unterschiedlich regelbaren Heizkreisen
-in Türdurchgängen zwischen fremden Wohn- und Arbeitsbereichen (Schallschutz)

Bei Calciumsulfatfließestrichen kommt die große Genauigkeit bei den Toleranzen hinzu, da sich der Estrichmörtel weitgehend unter dem Einfluss der Schwerkraft nivelliert und dabei in Waage fließt. Das Verlegen von Großformaten ist deshalb meist ohne zusätzliche Nivelliermaßnahmen im Dünnbettverfahren möglich.

Tipp: Die Oberfläche von Calciumsulfatestrichen muss vor der Feuchte des Verlegemörtels geschützt werden. Bei Verlegungen im Mittel- und/oder Dickbettverfahren ist ein sperrender Reaktionsharzvorstrich zwingend notwendig. Das Anmachwasser kristallin bindender Verlegemörtel können auf Dispersionsgrundierungen eingesetzt werden, wenn das System vom Hersteller freigegeben ist.


Peter Fendt: Verlegung von Parkett auf Calciumsulfatfließestrichen
These: Parkettleger haben bei ihrer Arbeit große Vorteile von Calciumsulfatfließestrichen, weil bei der Parkettverlegung ein genaueres Anarbeiten an Konvektorenschächte und Bodensteckdosen möglich ist.

Inhalt: "Drum prüfe, wer sich ewig bindet - wie vertragen sich Parkett und Estrich?" Mit dieser Frage beschäftigte sich der Bundesinnungsmeister der Parkettleger, Peter Fendt. Der Estrich als Lastverteilungsschicht ist die wesentliche Grundlage für den Erfolg der Parkettverlegung. "Ein guter Estrich kann bedeuten, dass der Parkettboden gut wird, oder auch nicht", schilderte Fendt. Der Estrichleger sei demnach der natürliche Freund des Parkettlegers. Der Referent schilderte, wie sich die Erwartungshaltung bei Parkettböden darstellt: Es ist eine gleichmäßige Oberfläche abzuliefern, eine feste Klebung, ausreichende Ebenheit, passgenau anzuarbeiten, optisch ansprechende Ausführung, keine Kanten und Höhenunterschiede, kurzum eine Fläche wie aus einer Hochglanzbroschüre. Wenn dieser Anspruch nicht erreicht wird, sind folgende Beanstandungen typisch: Welligkeit, ungleichmäßiges Schleifbild, Randabsenkungen, Höhenversätze bei Übergängen, Abrisse bei Verfugungen und Hohlstellen im Randbereich.

Für den Parkettleger bieten Verlegeuntergründe aus Fließestrich durchaus Vorteile. "Wir brauchen für bestimmte Produkte höhere Ebenheiten außerhalb der Norm. Dazu zählen Element- und Klickverbindungen, die auf unebenen Estrichen zu knarren beginnen", berichtete der Parkettlegermeister.

Dr. Jürgen Krell: Konstruktionen außerhalb der Norm - Was tun?
These: Besonders bei Ausführung von Sonderkonstruktionen außerhalb der Norm muss der Bauprozess schriftlich festgehalten werden.

Inhalt: Der Sachverständige Dr. Jürgen Krell warnte die anwesenden Handwerker vor Haftungsrisiken und riet ihnen, den Bauprozess detailliert schriftlich festzuhalten, um sich abzusichern. Wer als Handwerker bei der Ausführung von der Norm abweicht, erfüllt seinen Werkvertrag nur mangelhaft. Wird vom Planer eine Abweichung von der Norm gefordert, müssen vom Bauunternehmer Bedenken angemeldet werden.

Hintergrund: Wer gegen DIN-Normen oder technische Vorgaben anderer Regelwerke verstößt, hat die Vermutung gegen sich, dass sein Werk nicht einmal dem Mindeststandard entspricht, sodass es als mangelhaft bezeichnet werden kann. Wer DIN-Normen eingehalten hat, ist aber keineswegs schon auf der sicheren Seite, denn Normen können veraltet sein oder hinter den allgemein anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben. Bleibt festzuhalten: Wenn nichts Gegenteiliges vereinbart ist, gelten im Werkvertrag auch die allgemeinen Regeln der Technik und damit die VOB C.

Allerdings kann man Abweichungen vom Regelwerk vereinbaren - und das ist tägliche Praxis. Dafür muss sie dem Bauherrn verständlich dargelegt werden und "dieser in Kenntnis der Tragweite und Bedeutung der Unterschiede eine Ausführung wählen", so formuliert es die Rechtsprechung. Ein typisches Beispiel sind Dünnestriche außerhalb der Norm, die eine Sonderkonstruktion darstellen. Über die Folgen sowie die Vor- und Nachteile muss der Bauherr aufgeklärt werden.


Wolfgang Limp, Institut für Baustoffprüfung und Fußbodenforschung (IBF): Oberflächen von Fließestrichen - Erfahrungen aus den Seminaren
These: Um die Oberflächen von Fließestrichen sicher beurteilen zu können, braucht es viel Erfahrung.

Inhalt: Von den Erfahrungen des IBF berichtete Wolfgang Limp. Gemeinsam mit Seminarteilnehmern hatte der Sachverständige umfassende Oberflächenbewertungen von Fließestrichen vorgenommen. Oftmals befinden sich auf der Estrichoberfläche Sinterschichten, Kalk- oder Milchhäutchen, Vergipsungen oder Bindemittelanreicherungen. Sie können weich, mehlig, abkreidend und absandend, aber genauso als zu hart und mit einer harten Schale beschrieben werden.

Zur korrekten Prüfung der Estrichoberfläche gibt es ein BEB-Hinweisblatt. Die Festigkeit wird zunächst augenscheinlich geprüft, im Anschluss daran folgt der Einsatz einfacher Ritz-Geräte. "Bei Verdacht auf harte Schalen eignet sich vielleicht noch der Hammerschlagtest. Und wenn das alles nicht hilft, folgt die Messung der Oberflächenhaftzugfestigkeit", berichtete Limp. Das IWM-Merkblatt empfiehlt zusätzlich die Benetzungsprüfung, wenn die Saugfähigkeit angezweifelt wird, und schlägt unter besonderen Umständen vor, Probeklebungen durchzuführen.

Das Fazit aus den Seminaren lautete: "Die Beurteilung von Fließestrichoberflächen setzt sehr viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl voraus." Die meisten Estrichleger prüften über die Ritzprobe oder die Kratzprüfung, ohne dass es richtige Vorgaben zur Durchführung gibt. Der Referent mahnte an, dass manche Fragen dabei offen bleiben: Wie ritze ich? Wie kritisch bin ich bei Ritztiefen und Ausbrüchen? Die Hammerschlag-, Benetzungs- und Drahtbürstenprüfungen führen eher ein Nischendasein.

Bemerkenswert: Das IBF hatte bei den Untersuchungen auch einen Zementfließestrich unter die Calciumsulfatestriche "geschmuggelt". Die wenigsten Seminarteilnehmer äußerten Bedenken, ob es sich bei der Fläche wirklich um einen Calciumsulfatfließestrich handelt.
aus FussbodenTechnik 01/16 (Wirtschaft)