Domotex Turkey, Gaziantep

Facettenreiche Maschinenwebblase


Das Gros der türkischen Maschinenweber hat sich durchgesetzt: Die Domotex Turkey ist von Istanbul nach Gaziantep umgezogen. Entsprechend "maschinenweblastig" fiel die Veranstaltung im Mai aus. Dabei zeigte die Messe auf beeindruckende Weise, in welche Richtung die Reise technisch und optisch gehen kann.

Sieht man von dem "Schnellschuss" Domotex Gaziantep im letzten Jahr einmal ab, war dies die erste "richtige" Domotex Turkey in Gaziantep. An diesem Standort wird rund die Hälfte aller maschinell gefertigten Teppiche weltweit produziert. Die Entscheidung, die Messe von der Metropole Istanbul an die syrische Grenze zu verlegen, fiel also nicht ohne Grund. Leider blieb die Veranstaltung mit zwei Hallen und 198 Ausstellern vergleichsweise übersichtlich, der deutliche Schwerpunkt lag auf maschinengefertigten Teppichen. Hier hätten sich die Besucher mehr gewünscht.

Eine Frage des Standorts


Es waren insbesondere die hier ansässigen Maschinenweber, die sich deutlich für Gaziantep ausgesprochen hatten. Kein Wunder, denn für sie ist dieser Standort ungemein praktisch: Per Shuttle-Service können sie ihre Kunden direkt von der Messe in den eigenen riesigen Showroom bringen und ihnen dort alles zeigen, was auf dem begrenzten Stand keinen Platz findet. Der türkische Webriese Merinos etwa hat hier erst kürzlich auf einer gewaltigen Fläche ein neues Center mit Showroom fertiggestellt. Vielen Besuchern ist Gaziantep allein wegen dieser Möglichkeit eine - durchaus auch weitere - Reise wert.

Längerfristig ist die Domotex Turkey allerdings nicht als reine Maschinenweb-Messe, sondern als Bodenbelagsmesse mit breiterem Spektrum angelegt: mit LVT, Parkett und Laminat, mit Teppichboden und natürlich auch mit abgepassten Teppichen. Teppiche haben gerade im Nahen Osten nach wie vor einen festen Platz in Wohn- und Geschäftsräumen. Immerhin waren diesmal bereits einige (wenige) Anbieter handgefertigter Teppiche mit von der Partie, zum Beispiel Fatih aus Istanbul.

Schrumpfgarn, Struktur und Handfinish


Trotz des deutlichen Schwerpunktes auf Maschinenwebware: Die Messe in Gaziantep hatte viele Gesichter. Internationale Gesichter, denn die Besucher reisten nicht nur aus der Türkei an, sondern auch aus Israel, Russland und dem gesamten Nahen Osten. Gesichter auf Teppichen, insbesondere große Frauengesichter, denn die sind offenbar gerade "schwer angesagt".

Vor allem aber beeindruckte Gaziantep durch die enorme Vielfalt technischer Möglichkeiten. Zu sehen gab es Maschinenwebteppiche mit Schrumpfgarn und Struktur, mit Kunst- und Naturfasern, unterschiedlichen Garnfeinheiten, mit Schlingen-Velours-Kombinationen. Mit beeindruckend vielen Farben im selben Teppich. Kurz: Maschinenteppiche werden immer aufwendiger und hochwertiger und rücken in ihrer Optik immer näher an die Handknüpfteppiche heran, ohne dabei teurer zu werden.

Gern wird auch das maschinengewebte Grundmaterial durch ein Handfinish (Wäsche oder Carving) veredelte - nach dem Motto "machine-made with a human touch". Gesehen zum Beispiel bei Koyuncu Hali. Auf eine andere Weise beeindruckend: ein Teppich, der so fein gewebt war, dass er in seiner verwaschenen Pixeligkeit wie schlecht gedruckt wirkte.

Platz frei für die neue Mittelklasse


Apropos Druck: Auch der Print-Teppich wird mittelfristig zum Branchenthema. Prototypen mit bedrucktem Deckgewebe auf einer Schaumstoff-Zwischenschicht gab es auf der Messe mehrfach zu sehen. Und Merinos hat bereits getuftete Druckteppiche im Angebot. Die Herstellung ist im Schnitt aufwendiger als bei den Webteppichen; hier ist zunächst keine Discounterware zu erwarten.

"In den hochwertigen Maschinenteppichen liegt die Zukunft des Teppichhandels" - dieser Satz war auf der Messe mehrfach zu hören. Wegen der steigenden Produktionskosten bricht der Knüpfteppichbranche die Mittelklasse weg; in zehn Jahren wird es diese Qualitäten voraussichtlich nicht mehr oder kaum noch geben. Ihren Platz im Einzelhandel können nun gut gemachte Maschinenwebteppiche besetzen: ein Ansporn für Einkäufer, die Augen offen zu halten. Und für den Hersteller, in Weiterentwicklungen zu investieren. "Dabei ist das Geld in Design und Marketing langfristig besser angelegt als in immer wieder neuen und schnelleren Maschinen", erklärt Ali Hayta von Nedgraphics. "Leider investieren aber viele Hersteller tendenziell nur in Dinge, deren finanzieller Erfolg sich sofort bemerkbar macht."

Maschinenwebblase, made in Turkey


Ein großes Tortenstück Zukunft gehört also offenbar dem Maschinenwebteppich. Allerdings wird das Stück kaum für all die türkischen Weber ausreichen, die derzeit noch an der Kaffeetafel sitzen. Im anatolischen Gaziantep ist in den letzten Jahren eine Weberei nach der anderen aus dem Boden geschossen, die Bedingungen waren einfach zu günstig: Unternehmensgründer bekamen Unterstützung vom Staat, konnten sogar ohne Sicherheit Kredite aufnehmen. Maschinen wurden gekauft, Teppiche produziert, die Lager füllten sich. Aber wohin mit der ganzen Ware?

Allmählich ist klar: Alle Anbieter können nicht gleichzeitig am Markt bestehen. Derzeit geht ein türkischer Weber nach dem anderen pleite und bietet seine Restware zu Dumpingpreisen an, zum Teil im Direktverkauf. Wer sich hier abgrenzen will, muss mehr bieten. Mehr Design, mehr Service, mehr Alleinstellungsmerkmale. So sieht das auch Merinos-Geschäftsführer Caglar Kepekci: "Der Markt wird anspruchsvoller, die Anbieter müssen effizienter werden."

Branchenkenner Peter Herick plädiert dabei für ein "Zurück zu den Wurzeln": "Am besten lief es in der Teppichbranche noch, als jeder das gemacht hat, was er am besten konnte", findet er. Sprich: als der Einzelhändler an den Endkunden verkauft hat, der Großhändler an den Einzelhändler, und der Hersteller an den Großhändler. "Jetzt verwischen immer stärker die Grenzen", so Herick. "Jeder will alles können und unterschätzt dabei Kosten und Aufwand."

Man darf also gespannt sein, welche der vielen Teppichweber am Markt bestehen und mit welchen technischen Kniffen sie als Nächstes überraschen.
aus Carpet Magazin 03/15 (Wirtschaft)