Jahrestagung 2006 in Magdeburg

Frischer Wind im GHF

Einen vielversprechenden Einstand gab der neue GHF-Geschäftsführer Jürgen Wagner mit der ersten Jahrestagung des Verbandes unter seiner Ägide: Eine professionell organisierte, lebhafte Veranstaltung mit einer wohldosierten Auswahl an Themen und Referenten und einem unterhaltsamen Abendprogramm. Zum zweiten Mal stand Dr. Frank Steffel, Kopf der gleichnamigen Großhandels-Gruppe, im Mittelpunkt: Im vergangenen Jahr sorgte er aufgrund des Disputes mit dem GHF und seinem daraus folgenden Austritt aus dem Verband für Gesprächsstoff, in diesem trat er selbst als Redner auf und hielt einen brillanten Vortrag über die Perspektiven und Strategien des Großhandels, der besondere Brisanz dadurch gewann, dass er just einen Tag vorher Mitbewerber Dresing und kaum drei Wochen vorher den Hamburger Grossisten Rettberg übernommen hatte. Was im letzten Jahr schon beim GFH-Vorstand auffiel, bestätigte sich in diesem beim Blick ins Publikum: Andere, jüngere Gesicher als bisher beherrschten die Reihen. Der Großhandel befindet sich nicht nur in einem strukturellen Umbruch, sondern auch in einem Generationswechsel auf breiter Front.

Wie kann man nur Magdeburg als Tagungsort nehmen? hatten sich viele im Vorfeld der diesjährigen Hauptversammlung des Bundesverbandes Großhandel Heim & Farbe gefragt ... und dann fanden sich doch gut 200 Teilnehmer - eine ähnliche Frequenz wie in den Vorjahren - in der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt ein. Sie bietet viel mehr an Geschichte und Kultur, als ihr etwas tristes Bild auf den ersten Blick vermuten lässt: einst die Lieblingspfalz des ersten deutschen Kaisers Otto I., später Zentrum der Reformation und heute eine Mittelmetropole, die ihr kulturelles Erbe mit der Lebendigkeit einer Großstadt verbindet. Aber wir wollen hier keine Werbung für Magdeburg betreiben. So reich ihre Historie auch sein mag, war doch nicht die Location das Zugpferd der Tagung.

Das war neben der Möglichkeit, sich mit Kollegen, Mitbewerbern, Lieferanten und Kunden auszutauschen - dafür war dank der großzügigen Pausenregelung und des perfekt eingehaltenen Zeitplans reichlich Gelegenheit - sicher der Auftritt von Dr. Frank Steffel. Dem ging eine längere Geschichte voraus. Im letzten Jahr war es unmittelbar im Vorfeld der GHF-Jahrestagung zum Eklat gekommen, weil der GHF-Vorstand die Konditionspolitik von Steffel moniert hatte und sich veranlasst fühlte, auf die Lieferanten Einfluss zu nehmen. Steffel wertete das als Eingriff in seine Verhandlungshoheit und kündigte prompt die GHF-Mitgliedschaft. Das war natürlich nicht im Sinne des Verbandes...

Der neue GHF-Geschäftsführer Jürgen Wagner, der an dem ganzen Vorgang unbeteiligt war, suchte nach seinem Amtsantritt seinerseits, die verhärteten Fronten aufzuweichen und lud Steffel als Referent zur diesjährigen Tagung ein. Der sagte auch zu und wagte sich auf das Podium vor die versammelte Branche, die er mit seinen Aktivitäten durchaus polarisiert. Aber als Politiker ist der ehemalige CDU-Bürgermeisterkandidat in Berlin gewohnt, auch mal vor Eiern in Deckung zu gehen...so weit kam es in Magdeburg natürlich nicht. Im Gegenteil: Aufmerksam hörten die anwesenden Mitbewerber und die Industrie seinem Vortrag "Leistung lohnt" zu, in dem er über die Perspektiven, Chancen und Strategien des Großhandels sprach.

Darin ließ er auch seine jüngsten Akquisitionen einfließen, das Hamburger Traditionshaus Rettberg und Mitbewerber Dresing, bei dem es ihm gelungen war, einen Tag vor der GHF-Tagung dessen Insolvenzantrag zurück zu ziehen. Dabei verhehlte Steffel nicht seinen Unmut über "die genauso bösartigen wie unqualifizierten Gerüchte über die Insovenz der Firma Dresing". Am 27. September habe das Amtsgericht Gütersloh dem Antrag auf Rücknahme der Insolvenz zugestimmt, der Kaufvertrag zwischen ihm und Joachim Dresing sei wirksam geworden, am 28. September seien alle Konten wieder geöffnet, frisches Kapital dem Unternehmen zugeflossen und alle fälligen Rechnungen seien bezahlt worden. Ein Traditionsunternehmen habe in vollem Umfang erhalten werden können, die von der Steffel-Gruppe ermöglichte Rücknahme des Insolvenzantrages sei im Interesse der Branche gewesen, weil eine weitere bedeutende Insolvenz allen Marktteilnehmern geschadet hätte. "Wir erwarten keinen Dank, aber eine ehrliche Kommentierung unseres Engagements und anstelle übler Nachrede Wahrhaftigkeit". Ansonsten hielt sich Steffel mit Kampfansagen zurück, verteilte nur sehr dezent kleine Spitzen in Richtung Wettbewerb. Aus Platzgründen können wir hier nicht Steffels Vortrag abdrucken, holen das aber in der nächsten Ausgabe nach.

Auch sahen sich diejenigen enttäuscht, die einen eventuellen Schlagabtausch beim persönlichen Zusammentreffen von Steffel und Jörg Jordan erwartet hatten. Stattdessen standen die beiden Kontrahenten - dieses Wort werden sie beide nicht gerne lesen, aber Tatsache ist, dass beide um den Titel der Nr. 1 im Großhandelim Wettbewerb stehen - in der Pause friedlich beim Kaffee zusammen. Ob Jordan Steffel da schon das Angebot gemacht hatte, die Dresing-Niederlassung in Winsen zu übernehmen, nachdem der gesamte dortige Außendienst nach der Insolvenz von Dresing zu Jordan übergelaufen war? Jordan ist nämlich kaum minder aktiv, hat sich im September mit dem Erwerb des Kölner Grossisten Strater einen starken Stützpunkt der Rhein-Metropole geschaffen und bahnt sich jetzt den Weg in den Norden -Hamburg lockt. Bereits zum 1. November will er in Maschen eröffnen - oder vielleicht ja doch in Winsen?

Zurück nach Magdeburg. Die anderen Referenten auf der GHF-Tagung waren weniger spektakulär als Steffel, boten aber durchaus interessante Informationen. So gab Peter Schwartze, Präsident des Gesamtverbandes Textil + Mode einen Einblick in die Strukturveränderungen des internationalen textilen Marktes und beleuchtete dabei die gewaltigen Dimensionen der kommenden Wirtschaftsmacht China: 1,8 Mrd. Einwohner, 30 Millionen Beschäftigte in der Textilindustrie - in Deutschland sind es gerade noch 140.000 - und riesige Werke, in denen 25.000 Mitarbeiter in drei Schichten an sieben Tagen in der Woche an den Maschinen stehen. "2010 wird China die USA als Wirtschaftsmacht überholt haben. Und in zehn Jahren wird China täglich mehr Öl brauchen, als Saudi-Arabien fördern kann."

Zahlen, Daten und Fakten über das Maler- und Lackiererhandwerk legte Werner Loch vor, Geschäftsführer des Hauptverbandes Farbe, Gestaltung, Bautenschutz. Das war für das Auditorium insofern wissenswert, als die Maler eine wichtige und große Kundengruppe sind. Wir werden sie zu einem späteren Zeitpunkt nachliefern genauso wie das Referat von TFI-Geschäftsführer Dr. Ernst Schröder, der die neuen europäischen Kennzeichnungen für Bodenbeläge erläuterte.

"Noch nie war es so einfach, erfolgreich zu sein" konstatierte Verkaufstrainer und Marketingberater Joachim Bullermann in seinem Vortrag über "defizit-orientiertes Marketing". Selten haben wir einen Redner erlebt, der über anderthalb Stunden so unter Volldampf agiert, dass man meint, er würde gar keine Luft zwischendurch holen. Praktisch im Stakkato feuerte er seine Thesen und Merksätze auf das Publikum ab, das angesichts seines Tempos teilweise etwas überfordert schien. Und doch äußerten sich die meisten positiv über Bullermann.

"Fit im Körper, fit im Kopf, fit für die Zukunft" will Dr. Michael Spitzbart seine Zuhörer machen. Er vermittelt unterhaltsam wissenschaftlich fundierte und umsetzbare Ratschläge für ein gesundes Leben und gilt als einer der besten Redner zu diesem Thema.

Gut vorbereitet und souverän wirkten GHF-Vorstandsvorsitzender Carsten Weerts und - Geschäftsführer Jürgen Wagner. Weerts klärte über Bewegungen im Verband auf, nannte Zahlen, auch zum wirtschaftlichen Umfeld und richtete zwei inständige Appelle an die Kollegen: Zum einen sich stärker für das Thema Aus- und Fortbildung zu engagieren und die entsprechenden Angebote des GHF mehr wahr zu nehmen, zum anderen den Verband generell mehr zu nutzen: "Der GHF ist ein Dienstleister; die Mitglieder müssen Leistungen anfordern und zu neuen Leistungen auffordern." Gerade heute sei die Organisation wichtig als wettbewerbsneutrale Klammer über alle Markstufen. "Wir als Mitglieder sollten den Verband fördern - inhaltlich und auch finanziell."

Wagner präsentierte sich ein halbes Jahr nach Amtsantritt dynamisch und bereits gut mit dem Großhandel, dessen Problemen und der Branche vertraut. Das demonstrierte seine Analyse der aktuellen Marktsituation, die sich aus den Erfahrungen bei seinen Besuchen der Mitgliedsfirmen speiste. "Das ist ein Porsche statt eines Polos", soll ein Vorstandsmitglied bei der Einstellung von Wagner gesagt haben. Also beobachten wir gespannt, ob er weiter Gas gibt....


Der Bundesverband Großhandel Heim & Farbe

Bundesverband Großhandel Heim & Farbe e.V.
Memeler Str. 30
42781 Haan
Tel: 02129/557090
Fax: 02129/557099
info@ghf-online.de
www.ghf-online.de
Geschäftsführung: Jürgen Wagner
Sekretariat: Ute-Susanne Teichmüller, Michaela Zecchini
Vorstand: Carsten Weerts (Vorsitz), Florian Peters-Messer (stv. Vorsitzender),Martin Geiger, Eberhard Liebherr, Horst Randecker, Norbert Sonnen
Mitglieder: 119 Großhändler mit 389 Niederlassungen, 77 Hersteller, 6 koroporative
Neue ordentliche Mitglieder: J.& H. Kersting, Decor-Union, Eloom, Maler-Einkauf Süd-West
Neue außerordentliche Mitglieder: Beaulieu International Group, Anker, Domo Deutschland
Termin 2007: 11. bis 12.10. Europapark Rust

Mitglieder-Jubiläen 2006

125 Jahre: C.F. Alm Farbengroßhandel
100 Jahre: Farben Heim, Farben Hahn, Wilhelm Hahn
75 Jahre: Wilhelm Geilfuss
50 Jahre: Engel & Jung, Heimgro, Ketterer + Liebherr
aus BTH Heimtex 10/06 (Wirtschaft)