Branchensituation und -perspektiven

"Wir müssen mehr Begehrlichkeit für unsere Produkte wecken"

"Ich ärgere mich über die, die nur über Preise und Konditionen diskutieren und nicht darüber, wie man unsere Branche wieder voranbringen kann", verkündete FHR-Geschäftsführer Kurt Reichelt gewohnt markig und lud kurzerhand Vertreter führender Hersteller, zwei FHR-Mitglieder als Handels-Repräsentanten und exklusiv für die Fachpresse die BTH-Chefredaktion zu einem Roundtable ein. In kleinem Kreis wurden die Branchensituation analysiert, Ideen diskutiert und mögliche Lösungswege aufgezeigt.

Die Branche durchlebt die größte Krise der Nachkriegsgeschichte. Das führt nicht nur zu Insolvenzen in allen Marktstufen, sondern stellt auch das Verhältnis zwischen Industrie und Handel auf die Probe. Die Beziehungen zwischen Lieferanten und Kunden werden neu definiert. "Die Zeit der Konditionenkartelle und WKZ ist vorbei", meint Kurt Reichelt, Gründer und Geschäftsführer des Einzelhandels-Verbundes FHR, "die gehören einer Vergangenheit an, als wir noch einen Nachfragemarkt mit einem großen Volumen hatten, an dem wir alle gut verdient haben."

Ohne dass er auf die finanziellen Vorteile verzichten will, geht es für ihn bei der Zusammenarbeit zwischen Kooperationen und Industrie künftig um mehr: "Partnerschaftliche Aktivitäten zur Förderung der optimalen Vermarktung, von denen beiden Seiten profitieren".

Stichwort Kollektionen: Zu langweilig und zu uniform

Ansatzmöglichkeiten gibt es viele. Das fängt schon bei der Kollektionsgestaltung an, wo starker Nachholbedarf gesehen wird. "Die Industrie produziert am Markt vorbei", kritisiert Hans-Dieter Witt-kowski vom FHR-Mitglied Tawico aus Coesfeld, "und versucht sie Überhänge anschließend zu Billigpreisen loszuwerden". Sein Kollege Bernd Schmidt aus Karlsbad sieht das ähnlich: "Die Kollektionen sind viel zu einheitlich, zu langweilig, zu uniform. Es fehlen Innovationen und Ideen." Die Kollektionen seien das Ergebnis möglichst risikofreien Verkaufens, führt Reichelt an: "Innovative Produkte kosten Geld. Sie drehen sich weniger, sind teurer in der Lagerhaltung". Deshalb bekräftigt auch er den Wunsch nach mehr Innovationen.

Die Industrie erkennt das Problem durchaus: "Es spricht mir aus der Seele, dass die Kollektionen alle vergleichbar geworden sind. Der Teppichboden ist unglaublich langweilig geworden und jetzt ist er out", sagt Dura-Geschäftsführer Peter Farber offen. "Wie kann man das wieder beleben? Durch Innovationen bei Konstruktionen und Design." Dabei will man in Fulda Vorreiter sein: "Wir haben extra eine Projektgruppe dafür gegründet und uns zum Ziel gesetzt, Mitte nächsten Jahres führend bei Innovationen zu sein", gibt Farber die ehrgeizige Marschrichtung vor. Erster Schritt war übrigens die Vorstellung des rauch- und geruchsabsorbierenden Teppichbodens Dura Air auf der Orgatec, dem kurzfristig noch weitere Neuentwicklungen folgen sollen.

Stichwort Marken: Marken geben Sicherheit

Unterschiedlich beurteilt wird die Bedeutung von Marken in der Branche. Händler Wittkowski hat damit eher schlechte Erfahrungen gemacht: "Wir erleben damit immer wieder Beratungsklau. Das heißt, wir nehmen die Fachberatung vor und die Aufträge gehen dann woanders hin." Deswegen bevorzugt er neutrale, anonyme Produkte, die nicht so leicht zu identifizieren sind. Enia Carpets-Verkaufsleiter Paul Rüssing sieht als Nachteil einer Marke ebenfalls, dass sie "stärker sichtbar und dadurch leichter vergleichbar ist".

Wittkowskis Kollege Schmidt vertritt die gegensätzliche Auffassung: "Ich verkaufe Marken gut. Eine Marke oder ein Name, der bekannt ist, helfen mir beim Verkauf. Ich würde mir für Bodenbeläge sogar Shopkonzepte von Esprit o.ä. wünschen, wie es sie bei Gardinen oder Bettwäsche schon gibt."

Auch Kurt Reichelt plädiert dafür, mehr Markenkonzepte in der Branche umzusetzen: "Der Verbraucher kommt zwar nicht wegen der Marke ins Geschäft, aber sie bietet ihm vor Ort Sicherheit und schafft Vertrauen." Auch dem Verkäufer gebe die Marke Sicherheit im Kundengespräch: "Weil sie Argumente mitliefert und zudem oft von einer Garantieleistung des Herstellers begleitet wird".

Reichelts praktischer Vorschlag: "Ein Prospekt mit den Marken unserer Branche."

Stichwort Vermarktung: Nachfrage auf emotionaler Ebene erzeugen

Überhaupt die Vermarktung: Bernd Schmidt wünscht sich mehr Werbung und Öffentlichkeitsarbeit für Teppichboden. "Immer sieht man überall nur Parkett. Warum kann die Industrie nicht beispielsweise eine Fernsehserie oder einen Sender sponsern?" Reichelt hält das für eine richtige Idee: "Zum Beispiel müsste der Kapitän auf dem Traumschiff ein Loblied auf Teppichboden singen - was würde das bei den Verbrauchern bewegen...", aber er weiß auch: "Bei der Industrie sind die Kassen leer."

Seine Alternative: "Strategien für mehr Begehrlichkeit. Wir müssen Nachfrage auf emotionaler Ebene erzeugen." Der FHR hat sich darüber Gedanken gemacht und bereits vor vielen Jahren eine mobile Gardinenschau für seine Mitglieder entwickelt, die so gut angenommen wird, dass sie inzwischen bereits auf zwei Jahre im Voraus ausgebucht ist. "Wir betreiben damit Gemeinschaftswerbung auf kleinster Ebene", argumentiert Paul Olles, der beim FHR den Bereich Gardinen und Dekos verantwortet, und kritisiert, dass sich "die Industrie aus der Verantwortung für Gemeinschaftsaktivitäten stiehlt". Die Branche habe sich zu sehr abgeschottet. "Wo soll der Endverbraucher unsere Produkte sehen? Ins Fachgeschäft geht er doch erst bei konkretem Bedarf". Was der FHR hier für den Stoffsektor betreibe, sei auch für Tapeten denkbar, betont Olles in Richtung Tapetenindustrie.

Bei Bodenbelägen wird wiederum die Initiative in Harthausen ergriffen: Ende März ist das erste Fußboden-Forum in Berlin geplant. In Zusammenarbeit mit den Berliner FHR- Mitgliedern und der Industrie soll dabei eindrucksvoll demonstriert werden, wie kreativ und abwechslungsreich sich Böden gestalten lassen. Termin: 21. bis 23. März 2003 im Logenhaus in Berlin. "Wir müssten viel mehr regionale Veranstaltungen dieser Art in kaufkraftstarken Gebieten wie Hamburg, Stuttgart oder München durchführen", wirbt Reichelt für das Konzept.

Die könnte sich auch Wittkowski vorstellen: "Ich bin für kleine Regionalveranstaltungen, auf denen sich die ortsansässigen Raumausstatter, Fachhändler und Bodenleger gemeinsam präsentieren und das schöne Wohnen in den Blickpunkt rücken, von der Industrie begleitend unterstützt. Allein im Münsterland müssten zu solch einer Schau locker 40 bis 50 Unternehmen zusammenkommen."

Stichwort Konditionen: Ertragsorientierter Bonus

Renovierungsbedürftig ist nach Überzeugung von Reichelt das gängige Bonus-System. Die Bonitierung rein nach Menge sei überholt. Er fordert ein Umdenken von der Industrie: "Warum gibt es keine ertragsorientierten Boni? Es kann doch nicht sein, dass ein Händler, der 20.000 EUR mit margenstarken Hochwertqualitäten umsetzt, keinen Bonus bekommt, weil er die erforderliche 30.000 EUR-Grenze nicht erreicht hat und der Massenanbieter, der sein Geschäft mit Billigware macht, für Niedrigpreis-Politik sogar noch extra honoriert wird."

Rasch-Geschäftsführer Günther Dammler hält dagegen, dass es schwierig sei, ein ertragsorientiertes Bonus-System in der Praxis umzusetzen und verweist dabei auf Probleme in der Preisauszeichnung sowie in der Abstimmung der unterschiedlichen Distributionsschienen. "Nach welcher Kalkulation sollten wir uns dabei richten?"

Die Teilnehmer

vom FHR
- Kurt Reichelt, Geschäftsführer
- Margit Reichelt, Prokuristin
- Paul Olles, Fachbereich Gardinen und Dekos

FHR-Mitglieder
- Hans-Dieter Wittkowksi, Tawico, Coesfeld
- Bernd Schmidt, Heimdecor Schmidt, Karlsbad

aus der Industrie
- Roland Brechtel, Tarkett Sommer
- Klaus Brockmann, 3M
- Günter Dammler, Rasch
- Peter Farber, Dura
- Rudi Goosens, Thüringer Teppichboden
- Paul Rüssing, Enia Carpets

von der Fachpresse
- Claudia Steinert und Michael Steinert, BTH-Chefredaktion
aus BTH Heimtex 11/02 (Wirtschaft)