Bernd Kout, Vorsitzender Verband der Deutschen Heimtextilien-Industrie e.V.

Auf soliden Säulen

Alles in allem war 2010 ein zufrieden stellendes Jahr. Der kollektive Schock, in den uns noch Ende 2009 die Nachrichten über schier unvorstellbare Milliardenverluste großer Konzerne und über Insolvenzen von Unternehmen aus Industrie und Handel versetzt haben, liegt hinter uns. 2010 war das Jahr der "durchwachsenen" Meldungen: Die Erdbeben-Katastrophe in Haiti zeigte auf, was existenzielle Not bedeutet. Die Fußball-WM in Südafrika hat - anderes Extrem - einmal mehr gezeigt, dass Sport als das globale Medium schlechthin die Menschen länder-, politik- und glaubensübergreifend verbindet.

Im Herbst 2010 stand ein besonders Phänomen im medialen Fokus: der sehr spezielle "Klimawandel", der in Deutschland rund um Themen wie "Stuttgart 21" oder die jüngsten Castor-Transporte spürbar wird. Die Bürger hierzulande sind ganz offensichtlich nicht länger bereit, sich Entscheidungen von Politikern, Bankern oder Managern gegen ihre Überzeugung aufzwängen zu lassen - und womöglich später die Konsequenzen auszubaden. Stattdessen gehen die Menschen wieder für ihre Ideale auf die Straße. Mit dieser Emanzipation der Bürger wird insbesondere die Politik vor neue Herausforderungen gestellt. Alte, unzeitgemäße Strukturen und das sture Wahren von Pfründen sind in einer Zeit, in der sich Gesellschaftssysteme rasant ändern, nicht länger zu verantworten. Die Parteien müssen umdenken und neue Strukturen schaffen, die sich am "System Gesellschaft" orientieren - und nicht umgekehrt.

Im letzten Jahr hat die deutsche Wirtschaft ein rasantes Wachstumstempo hingelegt und konnte den Absturz im Krisenjahr 2009 weit hinter sich lassen. Im dritten Quartal 2010 stieg das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum 2. Quartal um 0,7 Prozent. Im Vorjahresvergleich ergab sich preisbereinigt ein Plus von 3,9 Prozent. Damit ist Deutschland in kürzester Zeit zum Primus in Europa avanciert. Die Wirtschaft hierzulande profitiert davon, dass die traditionell starken Exporte wieder kräftig angezogen haben. Gleichzeitig zeigt auch die Binnennachfrage deutlich nach oben. Das stellt den Aufschwung insgesamt auf solidere Säulen, eben weil er auch durch die Konsumenten gestützt wird. Und die Ökonomen sind sich einig, dass dieser Aufschwung weiter anhalten wird - wenn auch nicht mehr so stark wie zuletzt. Auch die schwelende Krise in Irland, das de facto vor dem Staatsbankrott steht, und die gigantische Immobilienblase in China werden der deutschen Wirtschaft nach Experteneinschätzung nicht mehr solch verheerende Auswirkungen bescheren können, wie das im Zuge der Weltwirtschaftskrise der Fall war.

Die deutsche Heim- und Haustextilien-Industrie hat von der positiven Entwicklung profitiert und wir sind ausgesprochen zuversichtlich, dass sich dieser Trend 2011 weiter fortsetzt. Noch ist der Aufschwung nicht vollends in unserer Branche angekommen, was damit zusammenhängt, dass wir weder Investitionsgüter produzieren noch in der Pole Position sind, was den privaten Konsum betrifft. Allerdings sollten wir uns jetzt die Frage stellen, wie wir uns mit veränderten Marktgegebenheiten auseinandersetzen, denn einfach "weiter so wie bisher" ist keine unternehmerische Strategie. Stattdessen müssen wir uns aktiv damit auseinandersetzen, wo sich konkret neue Chancen für das "Produkt Heimtextilien" ergeben - und zwar in seiner gesamten Bandbreite - und wie die Unternehmen diese Chancen nutzen? Wir brauchen entscheidungsfreudige Unternehmen, die den Mut haben, über Konzepte nachzudenken und diese dann auch auf dem "schnellen Dienstweg" umsetzen können - denn vergessen wir nicht, dass wir schon selbst daran arbeiten müssen, die Impulse für eine steigende Nachfrage beim Konsumenten zu liefern.

Zu den weiteren Hausaufgaben zählt auch das Thema der zunehmend schwieriger werdenden Rohstoffversorgung. Sowohl die Beschaffungssituation bei Chemiefasern als auch bei Naturfasern wie Wolle und Baumwolle stellen derzeit auch die Heim- und Haustextilien-Industrie vor echte Herausforderungen. Ein gutes Beispiel übrigens, um an dieser Stelle auch darzulegen, welche Aufgaben der Verband der Deutschen Heimtextilien-Industrie künftig verstärkt wahrnehmen muss und wird. In diesem konkreten Fall etwa arbeitet der Verband mit anderen Textilverbänden derzeit aktiv daran, die Politik für diese Situation zu sensibilisieren. Eine Aufgabe, die das einzelne Unternehmen schlichtweg nicht leisten kann.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der positiven Wirtschaftsprognosen haben wir allen Grund, optimistisch und mit Zuversicht in das neue Jahr 2011 zu gehen. Dabei ist es mir ein echtes Anliegen, hier nochmals ganz klar zum Ausdruck zu bringen, dass Heim- und Haustextilien schön sind. Innovativ, modisch und emotional - das sind die Attribute, die darauf zutreffen - und bisweilen vergessen wir das. Aber genau diese Botschaften sollten wir stärker in den Vordergrund unserer Kommunikation zu unseren Handelspartnern und auch zum Konsumenten rücken, denn das sagt auch etwas über unser Verhältnis zu unseren eigenen Produkten aus. Ein wie ich finde gelungenes Beispiel dafür, wie sich ein Unternehmen - in diesem Falle eine Handelskette - mit seinen Produkten identifiziert, ist der Edeka-Slogan "Wir lieben Lebensmittel". Vielleicht ist es jetzt auch Zeit für unsere "Liebeserklärung" an Heimtextilien?
aus Haustex 01/11 (Wirtschaft)