Schlag für die deutsche Teppichbodenindustrie

Faserhersteller Invista gibt Produktion in Europa auf

Faserhersteller Invisita schließt zum Jahresende sein Werk in Östringen (Kreis Karlsruhe). Auch die Fabrikation im niederländischen Kerkrade soll aufgegeben werden. In Östringen stellt Invista Teppichfasern und -garne aus Polyamid 6.6 her, besser bekannt unter dem Namen Nylon. Die dortige Textilgarnproduktion hatten die Amerikaner bereits 2006 an den israelischen Mitbewerber Nilit verkauft.

Als Grund für die Schließung werden die zu hohen Produktionskosten und die zu schwache Nachfrage nach Fasern und Garnen in Europa genannt. Alle Anstrengungen und Maßnahmen hätten nicht ausgereicht, um den defizitären Betrieb in die Gewinnzone zu führen, sagte Dan Stone, Präsident des Invista-Geschäftsbereichs Performfance Surfaces und Materials. Ein Viertel der Teppichfaser-Produktion soll nun in die USA verlagert werden, der Rest wird ersatzlos gestrichen.

Speziell für die deutsche Teppichbodenindustrie ist der Rückzug von Invista aus Europa ein harter Schlag. Das Unternehmen ist immer noch einer der wichtigsten Faserlieferanten, obgleich es in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung und Menge verloren hat. Dennoch hat Invista einige spezifische Fasertypen im Programm, die sich nicht so einfach ersetzen lassen - im schlimmsten Fall sogar überhaupt nicht. Besonders im in Deutschland unverzichtbaren Feinvelours-Bereich ist Invista stark vertreten.

Die Teppichbodenhersteller, die bislang von Invista beliefert worden sind, sehen sich nun mit dem Problem konfrontiert, adäquaten Ersatz aus anderen Quellen, sprich von anderen Faserproduzenten zu organisieren. Und diese müssen nicht nur in der Lage sein, technisch entsprechende Alternativen anzubieten, sondern auch ausreichend Kapazitäten vorhalten.

Die folgenden Marktstufen sind ebenfalls betroffen: Sie haben unter Umständen Koffer im Programm, bei denen sie ihren Kunden im nächsten Jahr erklären müssten, dass etliche Qualitäten nicht mehr lieferbar sind.

Der Großhandel prüft bereits vorsorglich seine laufenden Kollektionen und sondiert vor Neulistungen, ob die Produkte künftig überhaupt noch zur Verfügung stehen können. Manche Kollektion, die kurz vor der Markteinführung stand, soll gar ganz zurückgezogen worden sein.

Nach unseren Informationen arbeitet die deutsche Teppichbodenindustrie mit Hochdruck an einer Lösung.

Der Standort Östringen war einst das größte Nylonfaserwerk Europas. Dort wird Polymer-Granulat geschmolzen und zu feinen und feinsten Fäden verstreckt (=extrudiert) sowie teilweise weiter veredelt. 1963 von der britischen ICI errichtet, ging der Betrieb 1993 in den Besitz von Du Pont über, als ICI seine Faseraktivitäten an den Wettbewerber verkaufte.

Du Pont investierte in den Folgejahren rund 200 Mio. DM in Östringen und steigerte die Produktionskapazität auf jährlich 130.000 t Teppich- und Textilfasern. Aber auch Du Pont sah keine Zukunft im Fasergeschäft und trennte sich 2004 davon. Neuer Eigentümer wurde für damals 4,4 Mrd. USD Invista, der weltweit größte integrierte Faserhersteller.

An Deutschland bzw. Zentraleuropa schien Invista - wie viele amerikanische Unternehmen - von Anfang an nicht sonderlich interessiert. Erschwerend hinzu kam, dass Teppichboden hierzulande zunehmend an Marktanteil verlor und Invista im Volumenbereich nicht mitspielen konnte und auch nicht wollte. Um Kosten zu sparen, wurde den Kunden sukzessive immer weniger geboten: Die Entwicklungsarbeit gedrosselt, das Sortiment eingedampft, der Service reduziert... Nachdem durch Miss-Management auch noch das Automobil-Geschäft verloren ging und sich zusätzlich die Situation bei der Rohstoffversorgung verschärfte, müssen die roten Zahlen noch roter geworden sein und den Amerikanern komplett die Laune verdorben haben.

Dennoch haben sie den Mitarbeitern offensichlich noch im letzten Jahr signalisiert, das Östringer Werk erhalten zu wollen. Denn die rund 400 Köpfe starke Belegschaft nahm Kurzarbeit, Lohnverzicht und eine Absenkung der Tariflöhne auf sich, um den angeschlagenen Betrieb zu entlasten - und fühlt sich nun, nach der Ankündigung, dass das Werk doch geschlossen wird, düpiert. Nach Redaktionsschluss fand deshalb eine Kundgebung vor dem Werk statt, zu der sich sogar der baden-württembergische Innenminister angekündigt hatte.

Über das Unternehmen Invista sind kaum Daten bekannt. Die US-Firma ist eine 100 %-Tochter des gleichfalls amerikanischen Mischkonzers Koch Industries. Der letzte bekannte Umsatz von Invista datiert aus dem Jahr 2004 und belief sich auf 6,3 Mrd. USD. Durch die Akquisition der Du Pont-Fasersparte sollte ein Volumen von mindestens 8,4 Mrd. USD entstehen.

Invista-Mutter Koch Industries wiederum ist genauso verschlossen - und ein unbekannter Riese: der größte und profitabelste privat geführte US-Konzern. Mit Zahlen gibt man sich höchst zugeknöpft, Schätzungen gehen für 2008 von 80.000 Mitarbeitern und einem Erlös in Höhe von 100 Mrd. USD aus. Die Zentrale residiert in Wichita, im US-Bundesstaat Kansas. Eine Stadt mit 350.000 Einwohnern, ziemlich genau in der Mitte der USA, die sich selbst "Luftfahrthauptstadt der Welt" nennt, weil dort Boeing, Cessna und Lear ihren Ursprung hatten. Dort gründete Fred Koch in den 20er Jahren eine Ölraffinerie, die vor allem die Luftfahrtindindustrie bediente.

1961 stieg sein Sohn Charles in das Unternehmen ein, übernahm Ende der 60er Jahre das Ruder und führte Koch Industries hauptsächlich durch externes Wachstum zur heutigen Größe. Immer noch betreibt man vornehmlich ein B2B-Geschäft mit so verschiedenen Zweigen wie Mineralöl und Finanzdienstleistungen, Rinderzucht und Papierproduktion. Haupteigner sind Charles Koch, mittlerweile 74 und unverändert an der Spitze des Konglomerats, sowie sein jüngerer Bruder David, 70. Zwei weitere Brüder wurden ausgekauft. Charles und David Koch sind mehrfache Milliardäre. Laut Forbes-Liste rangieren sie mit einem Netto-Privatvermögen von jeweils 16 Mrd. USD auf Rang 9 der Liste der reichsten Amerikaner.
aus BTH Heimtex 06/10 (Wirtschaft)