Klaus Neudecker zum Bereich Matratzen/Schlafsysteme

Im Material liegt der Trend


Ein Auto bleibt ein Auto, auch wenn es nur noch drei Liter Benzin schluckt oder mit Strom fährt. Ob es auf drei Rädern oder sechs fährt. Es dient immer noch dem Ziel, das es seit seiner Erfindung erfüllt - von A nach B zu kommen. Als kreativer Unternehmer ist man immer versucht, das Rad neu zu erfinden, die Grenzen zu Unbekanntem zu durchstoßen. Und stößt doch immer an die Grenzen, die durch die Definition des Zweckes gegeben ist, die ein Produkt zu erfüllen hat. Die Haustex ist jetzt 60. Die Produkte, die hier im Laufe der Jahrzehnte gezeigt, beschrieben und beurteilt wurden, sind aber eigentlich doch immer noch die gleichen. Handtücher bleiben eben Handtücher, Bettwäsche bleibt Bettwäsche und Matratzen bleiben Matratzen. Sicher, wir schlafen nicht mehr wie nach dem Krieg auf der garnierten, handgehefteten, dreiteiligen und mit Seegras gefüllten Matratze. Aber wir schlafen noch immer auf etwas, was ist was es ist, eben eine Matratze, selbst wenn diese mit Wasser gefüllt ist.

Wenn wir hier etwas revolutionär Neues erfinden wollten, müssten wir den Menschen verändern. Der will dann vielleicht nicht mehr liegend, sondern stehend oder hängend schlafen. Oder er ist mit einer Schlafersatz-Pille zufrieden, was in der Tat eine herkömmliche Matratze erübrigen oder durch einen Schlafbügel ersetzbar wäre. So aber mussten wir uns in den zurückliegenden sechs Jahrzehnten mehr oder weniger darauf beschränken, die sich ändernden Wünsche und Ansprüche der Verbraucher zu erspüren, um darauf zu reagieren oder mit eigener Marketing-Kreativität Trends zu setzen. Der offensichtlichste Ansatz war sicherlich die Ablösung der dreiteiligen durch die einteilige Matratze in den mittleren 50er und frühen 60er Jahren. Das Austesten unterschiedlichster Matratzenkern-Varianten, vom Latex bis zum Kaltschaum, sind eher als Spielarten denn als revolutionäre Schritte zu betrachten. Spielarten, die vor allem dem Zwecke der Komfort-Optimierung dienten.

Die Nachkriegszeit hat man im Sprachgebrauch der Konsumsoziologie in verschiedene Wellen eingeteilt. Es gab die Fresswelle, die Wohnwelle, die Reisewelle und später auch die Gesundheitswelle, die auch heute noch, vielleicht sogar mehr denn je, wirkt. Die Gesundheitswelle, oder die Zeit, in welcher der Mensch immer mehr begann, mit seinem Körper ins Reine zu kommen, hat der Matratzen-Industrie den sicherlich stärksten Impuls der letzten 6o Jahre gegeben. Matratzen waren nun nicht mehr nur eine Schlafstatt mit unterschiedlich hohen Komfortwerten. Sie wurde für die aufgeschlossenen Verbraucher zunehmend Bestandteil ihres Gesundheitskonzeptes. In den 80er/90er Jahren wurden mehr und mehr Erfahrungen und Impulse aus der Ergonomie, der Orthopädie, der Anatomie sowie der Schlafforschung aufgegriffen, kuriose Begriffe wie "orthopädische Bandscheiben-Matratze" tauchten auf. Ohne es auf einen exakten Zeitpunkt bringen zu wollen, es war die Zeit, als das Konzept der Schlafsysteme als Komplettlösung auf den Markt gebracht wurde. Ein sicherlich wichtiger Schritt vorwärts in unserem Verständnis von gutem Schlaf und gesundheitsförderndem Bett.

Dem gequälten, kreativwilligen (Matratzen-)Unternehmer, der immer noch auf der Suche nach dem genial Revolutionären ist, kann heute mehr denn je geholfen werden, wenn er sich denn von der Idee des "Schlafbügels" trennt. Wir können heute leichter interdisziplinär denken und handeln. In vielen wissenschaftlichen Bereichen, die vordergründig nichts mit Matratzen zu tun haben (etwa in der Nano-Technologie), werden in rasantem Tempo Entwicklungen vorangetrieben, die uns Impulse geben können. In anderen Branchen der Konsum- oder Verbrauchsgüterindustrie kommen Entwicklungen auf den Markt, die uns inspirieren können, und die auf Materialentwicklungen basieren, die auch uns weiterhelfen, wenn wir sie assoziativ denkend beachten. Sicher, Matratze wird Matratze bleiben. Aber Drell muss nicht Drell sein und profiliert geschnittener Schaumkern ist austauschbar. Will sagen: Im Material liegt der Trend. Design ist Ausdruck des Trends. Ob die Matratze weiß bleibt oder schwarz wird.
aus Haustex 08/09 (Wirtschaft)