Sonderkonstruktionen: Tägliche Praxis, aber Transparenz erforderlich

Spätestens wenn der Bauherr das Wort "Sonderkonstruktion" hört, gibt es Gesprächsbedarf mit Handwerkern und Planern. FussbodenTechnik nimmt den hohen Informationsbedarf zum Anlass, ein Spezial zu Sonderkonstruktionen aufzulegen. Dazu passt perfekt: Verlegewerkstoffhersteller Kiesel Bauchemie hat mit seinem langjährigen Referenten, dem Immobilien- und Baurechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Hackenberg, einen Vortrag im Seminar-Programm, den FussbodenTechnik in Auszügen als Einführung in die Thematik wiedergibt.

Der Begriff "Sonderkonstruktion" ist für viele in der Bodenbranche einerseits geheimnisumwittert, andererseits aber auch rechtlich relevant. Die Verwendung von Sonderkonstruktionen ist in der Regel der Tatsache geschuldet, dass sie für die konkrete Anforderung, z. B. eines bautechnischen Problems, keine technisch oder wirtschaftlich darstellbare Regelausführung gibt. Ein plakatives Beispiel: Als das Unternehmen Pergo vor 35 Jahren das Laminat erfand, wurde der Belag nicht nur als "Gehpappe" verspottet, sondern es fehlte zunächst auch die passende Norm. Damals war Laminat unbestritten eine Sonderkonstruktion und dennoch wurde der Belag verlegt. Über viele Jahre feierte der Belagstyp eine Erfolgsgeschichte, hat seit 1994 seinen eigenen Verband der europäischen Laminatbodenhersteller (ELPF) und ist längt in DIN EN 13329 normativ geregelt - und damit keine Sonderkonstruktion mehr. Ergo: In vielen Fällen ist die Bezeichnung "Sonderkonstruktion" für Produkte eine reine Momentaufnahme.

Sonderkonstruktion - was ist das?

Zunächst einmal zu dem Begriff selbst: "Bei Sonderkonstruktionen handelt es sich um Ausführungsvarianten, die nicht genormt sind, von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abweichen oder von der Norm als Sonderlösung bezeichnet werden", sagt Immobilien- und Baurechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Hackenberg. Die Abweichung könne in der technischen Umsetzung oder in der Wahl der verwendeten Produkte liegen. In seinem Vortrag nennt Prof. Dr. Hackenberg ein typisches Beispiel für das Vorliegen einer Sonderkonstruktion: Das Arbeiten mit Bewegungsfugen bei großformatigen keramischen Fliesen. Nach der einschlägigen Norm dürfen Bewegungsfugen nicht überfliest werden.

Die technische Anforderung an den Umgang mit Bewegungsfugen steht bekanntlich häufig im Widerspruch zu den Anforderungen des Auftraggebers, diese Bewegungsfugen "verschwinden" zu lassen. Gerade in Wohn- und repräsentativen Bereichen werden die Fugen als optisch störend empfunden. Die Herausforderung liegt nun also darin, sowohl die gesetzlich geschuldeten anerkannten Regeln der Technik einzuhalten, als auch die Anforderungen des Auftraggebers umzusetzen. Die Lösung der konkreten Herausforderung setzt am Normzweck an. Eine kraftschlüssige Verbindung über der Fuge lässt sich vermeiden, indem ein Entkoppelungsgewebe eingesetzt wird. So kann die darunter liegende Fuge ihre originäre Funktion weiterhin erfüllen und gleichzeitig wird sie optisch überdeckt.

Das Erfolgsversprechen
des Handwerkers

Was muss der Verleger wissen? Für den Handwerker geht es darum, dass eine technische Herausforderung vorliegt, die mit den vorgegebenen Leistungen und Plänen einerseits und den vorliegenden Normen andererseits nicht gelöst werden kann. Das kann ganz unterschiedliche Ursachen haben: Die beschriebene Leistung weicht von der Funktion ab, die Ausführung ist in Regelwerken nicht beschrieben etc. Im Mittelpunkt steht also das Versprechen, welches der Werkunternehmer seinem Auftraggeber gegeben hat.

"Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung verspricht der Werkunternehmer dem Auftraggeber bei Vertragsschluss ein Werk abzuliefern, das den vertraglichen Vereinbarungen entspricht und funktionstauglich ist", darauf weist Prof. Hackenberg in seinen Vorträgen hin. Dazu gehört eben auch die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik. Liegen aber die aufgezeigten Widersprüche vor, kann der Werkunternehmer sein Leistungsversprechen nicht erfüllen. Die Konsequenz, die der Gesetzgeber vorgibt, ist bitter: Der Werkunternehmer erhält keine Vergütung und ist sogar verpflichtet, einen entstandenen Schaden zu ersetzen. Das heißt oftmals: Rückbau und Neuaufbau.

Wie ist die Rechtslage?

Prof. Dr. Hackenberg führt dazu Folgendes aus: Völlig eindeutig ist die Rechtslage, wenn die Angebotsunterlagen, die den beschriebenen Widerspruch enthalten, vom Handwerker selbst stammen und er den Widerspruch nicht offenlegt. Fraglich ist, ob dies auch dann gilt, wenn die Unterlagen vom Auftraggeber oder von dessen Erfüllungsgehilfen, wie Architekten oder Sonderfachplanern, stammen. Auch hier schlägt die verschuldensunabhängige Erfolgshaftung des Handwerkers durch. Er haftet, es sei denn, er hat form- und fristgerecht Bedenken angemeldet oder es wird ihm zugebilligt, dass er ausnahmsweise im konkreten Einzelfall den Widerspruch nicht erkennen konnte. Mangelnde Erfahrung mit den verwendeten Systemen oder ausgeschriebenen Verfahren entlasten ihn freilich nicht. Denn er hätte ja erkennen können, dass er insoweit keine Erfahrung hat.

Die Rechtsprechung bleibt dabei, dass der Handwerker der Spezialist im Gewerk ist. Ist er es nicht und kennt sich mit den ausgeschriebenen Produkten, Verfahren nicht aus oder weiß nicht wirklich, wie man die vom Auftraggeber formulierte Funktionalität herstellt und wie man rechtlich trotz der Sonderkonstruktion eine einwandfreie Leistung erbringt, sollte er im Zweifel auf die Beauftragung im eigenen Interesse verzichten. Prof. Dr. Hackenberg empfiehlt: "Schuster, bleib bei Deinen Leisten."

Auch dann, wenn die Parteien eine an sich für die vereinbarte Funktion überflüssige Leistung vereinbart haben, liegt eine Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit vor, sodass ein Mangel vorliegt (siehe BGH-Urteil vom 21. September 2004 - x ZR 244/01). Verschuldensunabhängige Erfolgshaftung in aller Deutlichkeit: Der Werkunternehmer kann sich nicht darauf berufen, dass Leistungsverzeichnis, Leistungsbeschrieb und Pläne nicht zum vereinbarten Erfolg geführt haben. Auch wenn die anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden, liegt ein Mangel vor, wenn der Sache die vorausgesetzte Funktionalität fehlt.

Klärung der Begrifflichkeiten

Der geschuldete Mindest-Standard sind die anerkannten Regeln der Technik. Diese anerkannten Regeln der Technik werden in der Regel durch Normen repräsentiert, wobei es sowohl den Fall geben kann, dass eine Norm, weil veraltet, schon nicht mehr den anerkannten Regeln der Technik entspricht, wie auch, dass es Verfahren und Produkte gibt, die gar nicht genormt sind (vgl. Erfindung des Laminats).

Die Baupraxis geht aber häufig nicht mehr den Weg der anerkannten Regeln der Technik. Modernität, Innovation, Design, Funktionalität: Das sind die Anforderungen, vor allem bei Oberflächen. Gerade bei Bodenbelägen können die Fugen nicht klein genug, die Beläge nicht großformatig genug sein. Und das ist meist nicht mit den bestehenden Normen vereinbar. Vorsichtig sein sollte man auch, wenn man nicht die exakt vereinbarten Produkte, sondern "vergleichbare" Produkte verwendet. Rechtlich gesehen stellt nämlich jede Abweichung vom vertraglich vereinbarten Bau-Soll einen Mangel dar. Und ob Produkte und Verfahren wirklich in allen relevanten Aspekten vergleichbar sind, darf man bezweifeln.

Bedenken anmelden

Wenn verlegende Handwerker auf Nummer sicher gehen wollen, rät Prof. Dr. Hackenberg folgende Vorgehensweise:

1. Schritt: Aufklärung
Im Idealfall klärt der Verleger seinen Auftraggeber über das zu lösende technische Problem auf. Welche Funktion erwartet der Auftraggeber? Warum kann mit den Baubeschreibungen und den anerkannten Regeln der Technik die Funktion nicht erfüllt werden?

2. Schritt: Bedenken anmelden
Der Handwerker sollte den Auftraggeber über die Risiken aufklären, die zu erwarten sind, wenn gebaut wird, wie beauftragt und geplant. Dies muss in jedem Fall schriftlich erfolgen.

3. Schritt: Lösungen vorschlagen
Der Verleger schlägt seinem Auftragnehmer eine oder mehrere Lösungen vor. Es bedarf wiederum der Schriftform, dass die Lösung eine Abweichung von den bisherigen vertraglichen Vereinbarungen und/oder den anerkannten Regeln der Technik darstellt. Der Handwerker sollte immer Planer und Lieferant in die Lösungsfindung mit einbeziehen, gegebenenfalls auch Vor- und Nachgewerke. Dabei werden Vor- und Nachteile sowie Risiken der Sonderlösung erläutert.

4. Schritt: Vereinbarung treffen
Der Auftragnehmer sollte erst weiter arbeiten oder den Auftrag annehmen, wenn der Auftraggeber schriftlich bestätigt, dass er mit dieser Abweichung einverstanden ist und die Lösung die bisherigen Vereinbarungen ersetzt.

Eine Musterformulierung könnte lauten: "Hiermit bestätige ich, dass die im Schreiben der Firma Mustermann vom 12. April 2020 beschriebene Sonderkonstruktion/Sonderlösung, die bisherige Vereinbarung ersetzt." Für sehr vorsichtige Handwerker: Lassen Sie sich bestätigen, dass Sie wegen Mängeln, die aus der Sonderkonstruktion herrühren, nicht haften. Das dürfte allerdings das Vertrauen Ihres Auftraggebers in Ihre Leistungsfähigkeit erschüttern. Vor Auftragserteilung ist ein solches Vorgehen einem Auftrag abträglich. Hier eine Musterformulierung: "Ich entbinde hiermit die Firma Mustermann von etwaigen Haftungsansprüchen, die aus dieser Sonderkonstruktion resultieren, insbesondere vom Risiko, dass "

Fazit: Transparenz in der Zusammenarbeit mit den Baubeteiligten

Abweichungen von den Standards, von anerkannten Regeln der Technik, von Normen sind aus haftungsrechtlicher Sicht kritisch, weil sie ein ganz erhebliches Haftungspotenzial beinhalten. Der Werkunternehmer läuft immer Gefahr, dass er schon formal einen Mangel produziert, wenn er von den anerkannten Regeln der Technik abweicht und riskiert damit seinen Werklohn. Ein Schaden oder eine Disfunktionalitat muss sich gar nicht eingestellt haben. Es genügt, die Abweichung vom vereinbarten Bau-Soll.

Aber machen wir uns nichts vor: Ohne Sonderkonstruktionen geht es mittlerweile in vielen Bereichen nicht mehr. Und die Sonderkonstruktionen sind beherrschbar. Kommunikation und Transparenz in der Zusammenarbeit mit den Baubeteiligten, lassen den Handwerker auch diese Herausforderung meistern. Er muss es nur tun.
Sonderkonstruktionen: Tägliche Praxis, aber Transparenz erforderlich
Foto/Grafik: Uzin
Das Turbolight-System von Uzin ist ein typisches Beispiel für eine Sonderkonstruktion. Es handelt sich dabei um einen dünnschichtigen Systemaufbau zur Herstellung schnell belegreifer Untergründe für alle Arten von Bodenbelägen.
Sonderkonstruktionen: Tägliche Praxis, aber Transparenz erforderlich
Foto/Grafik: Hackenberg
Prof. Dr. Wolfgang Hackenberg hält unter anderem bei Kiesel Bauchemie regelmäßig Vorträge für Handwerker. Er ist Spezialist für Immobilien- und Baurecht. Kontakt: www.prof-hackenberg.de
aus FussbodenTechnik 04/21 (Handwerk)