Runder Tisch zur Krise im stationären Handel

Bundeswirtschaftsminister Altmaier sorgt sich um die Zukunft des stationären Handels und der Innenstädte. Gemeinsam mit Experten und Betroffenen will er einen Modernisierungsprozess anstoßen. Eine erste Gesprächsrunde hat Probleme und Lösungen diskutiert.

Die Probleme des stationären Einzelhandels und der verödenden Innenstädte haben nun auch die Bundespolitik erreicht. Mitte Oktober 2020 bat Wirtschaftsminister Peter Altmaier zum virtuellen Runden Tisch mit dem Thema "Ladensterben verhindern - Innenstädte beleben". Verbände, Kommunen und Unternehmen diskutierten Probleme und mögliche Lösungswege. Konkretes war von dieser ersten Runde noch nicht zu erwarten. Aber in der anschließenden Pressekonferenz wurde zumindest schon einmal deutlich, wo die Handlungsfelder liegen.

Innenstädte zum Erlebnisraum machen

Den Status quo beschrieb Altmaier so: 20 bis 30 % der Umsätze seien bereits an den Onlinehandel verloren gegangen. Die Innenstädte büßten an Attraktivität ein, auch durch den zunehmenden Leerstand. Es gebe Probleme hinsichtlich Logistik und Nachhaltigkeit, außerdem die Konkurrenz durch Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Als sei das alles nicht genug, habe Corona den Druck auf den Handel zusätzlich erhöht.

Von daher bestehe dringender Handlungsbedarf. Es gelte, dem Eindruck entgegenwirken, dass der Einzelhandel seine besten Tage hinter sich hat. Das Gegenteil sei der Fall: "Wenn wir die Stadt als Erlebnis- und als Betätigungsraum begreifen, wenn der Einzelhandel seine Flexibilität ausspielen kann, um dem Kunden innerhalb kurzer Zeit das Gewünschte und Gesuchte zielführend zu vermitteln und zu beschaffen, dann wird es möglich sein, die Innenstädte zu stabilisieren." Dazu sei es wichtig Handel, Gastronomie, Kultur, Tourismus und Soziales miteinander zu verknüpfen.

Dabei will der Minister helfen und mit seiner Initiative einen Prozess in Gang setzen, der in einem Zeitraum von anderthalb bis zwei Jahren eine Modernisierungswelle im Mittelstand der Innenstädte auslösen soll. Konkrete Maßnahmen jenseits einer Unterstützung im Zusammenhang mit Corona erwartet Altmaier nach Ende der Pandemie ab 2022.

Digitalisierung ist das Top-Thema

Ganz oben auf der Agenda steht die Digitalisierung. "Es geht darum, wie man es erreichen kann, dass sich die Theke des Einzelhändlers mit seinem oft nur 100 m großen Ladengeschäft virtuell ins Internet verlängert. Wie es möglich wird, dass Bestellungen über diese Händler abgewickelt werden", so Altmaier. Dabei soll der Onlinehandel nicht gegen den stationären Handel ausgespielt werden: "Wir werden am Ende nur gute Ergebnisse erzielen, wenn wir Synergieeffekte schaffen. Wenn wir erreichen, das die Vorteile von Onlineökonomie auch dem Einzelhändler selbst zugute kommen und zur Verfügung stehen."

Tina Müller, Geschäftsführerin der Parfümeriekette Douglas, die bereits 40 % ihres Umsatzes im Internet macht, will den Onlinehandel ebenfalls nicht als Feind des stationären Handels sehen: "Wir müssen vom Kunden her denken. Der recherchiert online nach Öffnungszeiten, Produkten, Verfügbarkeiten, lässt sich inspirieren und geht dann ins Geschäft. Oder er bestellt online und holt die Ware dann im Geschäft ab." Wichtig sei die Sichtbarkeit des lokalen, stationären Angebots im Netz. Dabei helfen digitale Plattformen und Marktplätze, die auch das Coaching der Händler übernehmen können.
Die Forderung nach Unterstützung erhob auch Stefan Genth in seiner Funktion als Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE). Ein Digitalisierungsprogramm des Staates für den mittelständischen Einzelhandel müsse her. Ansätze gebe es schon mit dem Mittelstand 4.0.-Kompetenzzentrum Handel ( kompetenzzentrumhandel.de). Diese müssten ausgebaut werden. Es brauche aber auch finanzielle Hilfe, weil die Eigenkapitalreserven der Betriebe durch Corona vielfach aufgebraucht seien.

Forderung nach Quartiermanagern

Von Tina Müller kam noch der Hinweis, der stationäre Handel dürfe den Onlinehandel nicht kopieren: "Er sollte sich seiner Einzigartigkeit bewusst sein und diese auch herausstellen. Stationärer Handel ist mehr als Produktabverkauf; es ist Erlebnis, Service, Beratung und Begegnung." In diese eher analoge als digitale Richtung wandte sich mit ihrem Statement auch Gloria Göllmann, als Geschäftsführerin der Immobilien- und Standort-Gemeinschaft Solingen-Ohligs eine Frau aus der Praxis. Sie verwies darauf, dass die Aufenthaltsqualität in den Innenstädten gesteigert werden müsse. Der Mensch stehe dabei im Vordergrund, der in den hybriden Zentren wohnen, arbeiten, ausgehen und letztlich auch einkaufen soll. Um solche Orte zu schaffen, brauche es Menschen, die die Quartiere managen und die Menschen in die neue Zukunft mitnehmen.
| thomas.pfnorr@snfachpresse.de
Runder Tisch zur Krise im stationären Handel
Foto/Grafik: Hebi B./Pixabay
Runder Tisch zur Krise im stationären Handel
aus BTH Heimtex 12/20 (Handel)