Neue Werbekampagne, neues Produkt

bett1.de alarmiert die "Geschmackspolizei"

Berlin. Mit einer neuen Werbekampagne und einer Produktneuheit startet Online-Anbieter Bett1 in den Herbst. Auf die 199-Euro-Matratze folgt nun eine Mischung aus Loungemöbel und Bett. Und auch Unternehmensgründer Adam Szpyt hat für sich eine neue Rolle gefunden.

Zurückhaltung gehört nicht zu den vornehmsten Charakterzügen von Adam Szpyt. "Die meistgekaufte Matratze Deutschlands hat innerhalb weniger Jahre den hiesigen Markt revolutioniert, nun ist Bett1.de auf weltweitem Expansionskurs" ließ der Unternehmer Ende Oktober verlauten, um mit dem neuen Produkt gleich "die zweite Revolution" auszurufen.

Zum Launch von "Hulk" erklärte Szpyt: "Wir wussten nicht, ob wir unser revolutionäres Produkt nun Bett, Lounge Chair oder Liege nennen sollten, da es alles in einem ist." Seinen nächsten Gegner hat der Bett1-Gründer bereits im Visier: "Wir werden den für stylische, bequeme Lounge-Möbel überteuerten Markt mit der Hulk jetzt richtig aufmischen - mit der ersten höhenverstellbaren, wetterbeständigen Matratze, die in den Garten oder auf die Terrasse wandert." Nach den Matratzenanbietern ist jetzt die Gartenmöbelbranche an der Reihe, soll das wohl heißen.

Das Produkt ist die Fortentwicklung der Bett1-Matratze in einer motorisierten Version. Es ist im Rücken- und Beinbereich stufenlos höhenverstellbar und kann sowohl als Liege, Bett oder Sessel genutzt werden. Die jeweilige Position kann entweder mit der Fernbedienung oder dem Smartphone eingestellt werden. Ab 599 Euro wird die Neuheit angeboten, die mit wetterfestem Bezug auch outdoor zum Einsatz kommen kann. Eine erste Präsentation zeigte Bett1 auf YouTube (siehe auch nebenstehender Kommentar).

Doch das ist nur ein Teil der Herbstoffensive aus Berlin. Der Onlineanbieter hat in den vergangenen Jahren mit seinen Werbespots für die "am besten getestete" beziehungsweise die "meistverkaufte Matratze" polarisiert. Mit dem Satz "Ich hab mir ne neue Matratze gekauft" und der Antwort "Nee, nee, nee" wurde die Marke deutschlandweit bekannt, zog aber im Netz auch viele negative Kommentare auf sich oder wurde persifliert. Selbst andere Marken und Matratzen-Hersteller ahmten die Spots nach, heißt es beim Anbieter der 199-Euro-Matratze.

"Wer sich seiner Sache sicher ist, so wie wir, lässt sich von Kritik nicht aus der Spur bringen - aber veräppelt sich gern auch mal selbst", kommentiert Szpyt. Deshalb tritt der Online-Anbieter jetzt mit einer neuen Werbekampagne an, die wiederum die eigenen Spots persifliert und mit der darin aufgenommenen Kritik aus den sozialen Netzwerken auf die Spitze treibt. "Wir sind sehr nah an unseren Kunden dran, hören und sehen genau hin, im Guten wie im Schlechten, da boten sich diese Themen an", so Szpyt.

Die betreuende Werbeagentur Antoni aus Berlin durchkämmte das Netz nach den vielversprechendsten Kommentaren wie beispielsweise "Bett1, fahr zur Hölle", und verfilmte diese. Herausgekommen ist dabei eine Serie mit zehn Filmen, von denen die ersten Oktober auf den Bett1-Kanälen eingestellt wurden. Einer der Filme ist beispielsweise die Antwort auf einen Internet-Kommentar, in dem Bett1 mit der penetrant schwäbelnden Werbung eines bekannten Müsliproduzenten verglichen wird - am Ende wird deshalb die Geschmackspolizei alarmiert.

Zusätzlich wird die Kampagne mit einem 30-Sekünder im Werbefernsehen angekündigt, in dem auch Adam Szpyt selbst zu sehen ist, der in einem der Spots mitspielt. Dieser Trailer wird auf reichweitenstarken Sendern in High-Rotation-Werbeblöcken laufen.Auf der in der bisherigen Kampagne gezeigten Wettbewerber-Matratze hat nach fünf Jahren ein neuer Darsteller Platz genommen. Auch das wird zum Anlass genommen, daraus einen Film zu machen, in dem der Firmenchef mit dem anderen Darsteller Tim Forssmann das Casting für den Nachfolger leitet."Freuen Sie sich auf die neue Bett1-Werbung", heißt es hierzu aus dem Off. Das dürfte für nicht wenige wie eine Drohung klingen.


Kommentar von Stefan Mielchen
Kraftstrotzendes Monster

Adam Szpyt ist ein Meister der Selbstdarstellung. Im Präsentationsvideo seines neuesten Produktes erklärt er dessen Vorzüge in der Rolle eines Keynote-Speakers: Allein auf einer dunklen Bühne, alle Aufmerksamkeit auf sich gerichtet. Coole Inszenierung, etwas schauspielerisches Talent, eine Portion Hybris: Szpyt verkündet "die zweite Revolution von Bett1". Drunter macht ers nicht.

"Hulk" heißt seine Neuschöpfung, eine Mischung aus Matratze und Loungemöbel, geeignet für drinnen und draußen. Und natürlich auch ein Namensvetter der berühmten Comicfigur. Groß, stark, verwandelbar: Die Charakteristika seines Produktes, die Szpyt im Video aufzählt, beschreiben auch den Comic-Hulk. Der verwandelt sich bekanntlich in ein kraftstrotzendes Monster, sobald er wütend wird. Sicher keine zufällige Analogie. Auch Szypt schlägt zu, wenn ihm etwas nicht passt - zumindest juristisch.

Man kann das alles lächerlich finden. Aber das ist es nicht. Szpyt hat es geschafft, ein völlig unspektakuläres Produkt perfekt zu vermarkten. Die 199-Euro-Matratze sitzt tief im Bewusstsein der Verbraucher. Die nervigen Werbespots werden längst karikiert - das Beste, was einer Marke passieren kann. Jetzt folgt die nächste Stufe: Szpyt verleiht der Marke sein Gesicht. Claus Hipp und Steve Jobs lassen grüßen.

Der Mann polarisiert. Die StiWa-Tests, das Aufmischen des Marktes, seine Klagewut - darüber ist reichlich diskutiert worden. Der Ärger über ihn ist an vielen Stellen verständlich, darf aber den Blick nicht verstellen. Es reicht ja, dass Bett1 sich weiterhin an der bösen Konkurrenz abarbeitet, dem "mutmaßlichen Kartell", wie Szpyt es nach wie vor ausdrückt. Dies sollten die Wettbewerber umgekehrt nicht länger tun. Sie sollten allein fragen: Was kann man vom Gegner lernen oder besser machen? Denn das ist einiges.
aus Haustex 11/20 (Marketing)