Sachverständiger Gerhard Gasser informiert

Rechtsprechung bei beschleunigten Estrichen uneinheitlich

Um eine sachbezogene Entscheidung zu treffen, ist das Gericht auf ein qualifiziertes Gutachten angewiesen. Nur dann, wenn der Sachverständige alle Zusammenhänge umfassend darstellt, wird im Regelfall das Gericht in der Lage sein, darauf aufbauend eine Entscheidung zu treffen. Es gibt sicherlich mehr fehlerhafte Gutachten als Gerichtsentscheidungen. Nimmt ein gerichtlicher Sachverständiger die Auslegung einer DIN-Vorschrift vor, so ist diese von dem erkennenden Gericht auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Auch die rechtliche Auslegung von technischen Normen ist die alleinige Aufgabe des erkennenden Gerichts (OLG Koblenz, Urteil vom 19.05.2016, AZ 1 U 204/14 in BauR 2017, Seite 582). Mit diesem Beitrag macht der ö.b.u.v. Sachverständige Gerhard Gasser aus Idstein deutlich, dass es in der Bewertung wesentlich komplexer zugeht.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg zum Aktenzeichen 2 U 120/17, verkündet am 8. Mai 2018, ist keine Überraschung. In der Vorinstanz hat das Landgericht Oldenburg unter anderem wie folgt ausgeführt:

"Demgegenüber ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Fliesenböden in den beiden Doppelhaushälften keine Mängel aufwiesen. Auch weitere im Rahmen des Zurückbehaltungsrechtes geltend gemachte Positionen seien unberechtigt."

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er das Urteil in vielfältiger Weise angreift. Als Entscheidungsgründe werden unter anderem ausgeführt:

"Der Beklagte hat Mängel an den Doppelhaushälften eingewandt und sich insofern auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen."

Auf der Seite 5 heißt es unter anderem:

"Darüber hinaus ist der Beklagte der Auffassung, dass entgegen der Rechtsansicht des Landgerichtes die Bodenbeläge bereits deshalb mangelhaft seien, weil in den Estrich Zusatzstoffe, die die Trocknung beschleunigen sollten, eingebracht worden seien. Dadurch habe die Klägerin gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstoßen. Das Landgericht habe insoweit die Ausführung des Sachverständigen in ihr Gegenteil verkehrt. Bezogen auf das Preisniveau des Jahres 2017 betrügen die Mängelbeseitigungskosten unter Berücksichtigung des sogenannten Druckzuschlags 72.614 EUR. Hinzu kämen die Positionen Mietausfall/Hotel-Miete, Einlagerung der Möbel, Maler/Säuberung, Überwachung der Arbeiten durch einen Gutachter und anwaltliche Beratung in Höhe weiterer 10.000 EUR."

Auf der Seite 7 führt das OLG weiter aus:

"Im Bereich des Bodenbelags gegen Beseitigung der mangelhaften Bodenbelagsarbeiten, konkret Herstellen eines ordentlichen Estrichs mit ordentlicher Belegereife und Herstellung eines mangelfreien Bodenbelages jeweils in den Untergeschossen und Obergeschossen unter Berücksichtigung der einschlägigen DIN-Vorschriften."

Auf der Seite 11 ff. heißt es unter anderem:

"Beim Bauträgervertrag ist auf den Anspruch auf Sachmängelhaftung Werkvertragsrecht anzuwenden mit der Folge, dass der Erwerber die Abnahme des Bauwerks wegen wesentlicher Mängel verweigern kann. Entgegen der Auffassung des Landgerichtes ist die Werklohnforderung der Klägerin mangels Abnahme nicht fällig. Entgegen der Ansicht des Landgerichtes ist aber auch die Fußbodenkonstruktion in den beiden Doppelhaushälften mangelhaft. Auch soweit eine Sonderausführung durch Verwendung von Schnellbindern vorgelegen habe, sehe das Gericht hiermit im Ergebnis keinen Mangel. Eine derartige Sonderregelung widerspreche nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik."

Der Begriff "Sonderlösung" oder auch "Sonderausführung" führt, so Gassers Beobachtungen in der Praxis, immer wieder zu Missverständnissen und Fehleinschätzungen.

Auf der Seite 14 führt das OLG Oldenburg weiter wie folgt aus:

"Ein Werk ist mangelhaft, wenn es nicht die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit aufweist. Es ist anzunehmen, dass die Beachtung der allgemeinen anerkannten Regeln der Technik, sofern nicht ein anderer Standard vereinbart worden ist, als Mindeststandard geschuldet ist. Entspricht die Werkleistung dem nicht, liegt ein Werkmangel vor (BGH MDR 2014, 1020 mit weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung des BGH. Hier entsprach die Herstellung des Bodens nicht den anerkannten Regeln der Technik.

Der Sachverständige hat ausgeführt, dass es sich bei der Verwendung von schnell bindenden Zusatzstoffen im Estrich um Sonderausführungen handelt. Im Industrie- und Objektbau widerspreche eine derartige Sonderlösung aber nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Im Rahmen der Erstellung einer Doppelhaushälfte zähle er die Ausführung eines Estrichs mit einer Schnellbinder-Konstruktion jedoch nicht zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Es sei festzustellen, dass ein Estrich eingebaut worden sei, der nicht der DIN 18560 entspreche. Zwar sei aus technischer Sicht die vorliegende Konzeption nicht fehlerhaft. Sie entspreche aber nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik. In der Praxis sei ein Estrich mit schnell bindenden Eigenschaften nicht durchweg in der Form bekannt, als dass diese für gesamte Objekte, im Speziellen Wohnhäuser, verwendet werden. Da schnell bindende Estriche im Wohnungsbau eher selten eingebaut würden, liege eine fortdauernde praktische Erfahrung mit dieser Konstruktion unter diesen Gegebenheiten nicht vor.

Angesichts dieser eindeutigen Ausführungen des Sachverständigen - zumindest betreffend den hier vorliegenden Wohnungsbau - kann festgestellt werden, dass die Werkleistung der Klägerin allein schon deshalb mangelhaft ist, weil sie nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. Ob und inwieweit die mangelhafte Ausführung dazu geführt hat, dass Mangelerscheinungen vorhanden sind - insofern gelangen der gerichtliche Sachverständige und der vom Beklagten beauftragte Privatsachverständige zu unterschiedlichen Ergebnissen - kann deshalb dahinstehen."

Damit keine Missverständnisse entstehen, wird darauf hingewiesen, dass bei dem Streitobjekt dem Estrichmörtel auf der Baustelle ein flüssiges Zusatzmittel zugemischt wurde, um eine schnelle Belegereife herbeizuführen.

Die heimlichen Herrscher
des Verfahrens

Diesen Standpunkt vertritt Prof. Jürgen Ulrich, ehemals Richter am Landgericht Dortmund. Gemeint ist damit der vom Gericht beauftragte Sachverständige.

Das Abstellen auf die sogenannten "anerkannten Regeln der Technik" ist im Werkvertrag nach BGB oder nach einem VOB/B-Vertrag verankert. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Anwälte, die sich besonders auf das Bau- und Architektenrecht spezialisiert haben, aber auch die für die Rechtsprechung zuständigen Gerichte, sowohl OLG-Entscheidungen als auch die BGH-Entscheidungen in allen Einzelheiten kennen. Weshalb soll es dort in juristischen Kreisen anders sein, als bei sehr vielen Sachverständigen, die sich in der Regel daran orientieren, was irgendwo in der einen oder anderen Form geschrieben steht? Ein Hauptproblem wird dahingehend gesehen, dass kritiklos auf DIN-Normen oder Merkblätter abgestellt wird.

Gerhard Gasser hält es daher für zweckmäßig aus dem Buch "Kompendium des Baurechts", herausgegeben von Prof. Dr. Rolf Kniffka und Dr. Wolfgang Koeble, C. H. Beck Verlag, zu zitieren, wo es im 6. Teil unter anderem heißt:

Rand-Nr. 18
"Funktionaler Herstellerbegriff"

"Darin erschöpft sich nicht das werkvertragliche Verständnis der vereinbarten Beschaffenheit. Dieses wird maßgeblich davon beeinflusst, welche Funktion das herzustellende Werk hat und welchen Zweck es erfüllen soll. Deshalb beschränkt sich die Herstellungspflicht des Auftragnehmers nicht auf die Einhaltung der vereinbarten Leistung oder Ausführungsart. Die Leistungsvereinbarung der Parteien wird überlagert von der Herstellungspflicht, die dahingehend ein nach den Vertragsumständen zweckentsprechendes, funktionstaugliches Werk zu erbringen hat. Wenn eine Funktion nach dem Vertrag vorausgesetzt ist oder sogar vereinbart wird, dann muss der Auftragnehmer die Funktion herbeiführen. Das ist Gegenstand der Beschaffenheitsvereinbarung und damit der geschuldete Erfolg."

Rand-Nr-31

"Im Gesetz fehlt eine in § 13 Absatz 1 VOB/B enthaltene Regelung derart, dass der Unternehmer verpflichtet ist, die anerkannten Regeln der Technik einzuhalten. Diese Regelung hält der Gesetzgeber für entbehrlich, denn auch ohne diese Regelung sei es nicht zweifelhaft, dass der Unternehmer grundsätzlich verpflichtet ist, die anerkannten Regeln der Technik zu beachten."

Rand-Nr. 32

"Anerkannte Regeln der Technik sind diejenigen technischen Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt sind und feststehen sowie insbesondere in dem Kreise der für die Anwendung der betreffenden Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind.

Ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik liegt vor, wenn der Auftragnehmer solche technischen Regeln nicht beachtet, die sich unter einer hinreichenden Zahl kompetenter Fachleute als theoretisch richtig durchgesetzt und die sich in der Baupraxis als richtig bewährt haben.

Der Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik umfasst alle überbetrieblichen technischen Normen, zu denen die DIN-Normen, die ETB (Einheitliche Technische Baubestimmungen des Instituts für Bautechnik), die Richtlinien des VDI, die Flachdachrichtlinien usw. gehören, sowie die mündlich überlieferten technischen Regeln. Letztere können geschriebene Regeln, z. B. auch den DIN-Normen vorgehen, wenn sie den neuesten Stand darstellen.

Wichtige DIN-Normen für Bauleistungen sind Bestandteil der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen nach VOB/C. Diese sind stets Bestandteil eines VOB-Vertrages, § 1 Nr. 1 Satz 2 VOB/B. Es besteht eine Vermutung, dass kodifizierte Regelwerke die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Diese Vermutung ist widerlegbar."

Rand-Nr. 33

"In der Praxis erweist es sich bisweilen als schwierig, im Einzelfall die für die Bauausführung maßgeblichen anerkannten Regeln der Technik zu bestimmen. Die genannten Regelwerke sind allerdings ein erster Anhaltspunkt. Hinzu kommen die von den Sachverständigen herangezogenen Regelwerke und Erkenntnisquellen. Bereits deren Auslegung kann erhebliche Probleme bereiten, die ohne die Hilfe von Sachverständigen kaum zu bewältigen ist. Allerdings müssen die Sachverständigen dazu angehalten werden, die Auslegung nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen vorzunehmen. Das Gericht muss die Auslegung selbständig nachvollziehen. Bei dem Verständnis von Regelwerken, wie z. B. von DIN-Normen, ist maßgeblich auf die betroffenen Verkehrskreise abzustellen. Notfalls muss dieses Verständnis durch aufwendige Befragungen, die auch von einem Sachverständigen durchgeführt werden können, vorgenommen werden. Die subjektive, nicht auf ausreichende Erfahrungen gestützte Sicht eines Sachverständigen ist nicht maßgeblich. Unmaßgeblich ist bei Befragungen auch die subjektive Sicht der Befragten."

Rand-Nr. 34

"Im Hinblick darauf, dass sich die Bautechnik ständig fortentwickelt, bedürfen die Regelwerke einer strengen Prüfung, ob sie noch die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Diese kann allenfalls nur von Sachverständigen vorgenommen werden. Die Sachverständigen müssen vom Gericht geleitet werden. Die forensische Erfahrung lehrt, dass Sachverständige häufig davon ausgehen, die Regelwerke seien solange maßgebend, bis sie überarbeitet sind. Sie sind deshalb darüber zu informieren, dass das nicht so ist und dass sie - wenn es darauf ankommt - gehalten sind, Ermittlungen darüber anzustellen, welche Bauweise sich im Beurteilungszeitraum als theoretisch richtig erwiesen und in der Praxis bewährt hat. Die Sachverständigen müssen auch von sich aus die Regelwerke kritisch überprüfen, wenn es Anhaltspunkte für die Untauglichkeit oder Unzweckmäßigkeit in bestimmten Varianten gibt. Sie können auf Literatur, Erfahrungssätze, Netzwerke, Mangel- bzw. Schadensstatistiken zurückgreifen."

Rand-Nr. 37

"Die Parteien können auch eine Bauausführung vereinbaren, die von den anerkannten Regeln der Technik abweicht, ohne dass deren Mindeststandard gewährleistet ist. Im Hinblick darauf, dass ohne eine abweichende Erklärung der Unternehmer die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik zusichert, muss er den Auftraggeber auf das mit der Nichteinhaltung verbundene Risiko hinweisen, es sei denn, es ist diesem bekannt oder ergibt sich ohne weiteres aus den Umständen. Der Auftraggeber kann das Risiko rechtsgeschäftlich übernehmen. Ohne eine entsprechende Aufklärung kommt eine rechtsgeschäftliche Zustimmung dazu, dass abweichend von den anerkannten Regeln der Technik gearbeitet wird, regelmäßig nicht in Betracht."

Rand-Nr. 38

"Sachmangel trotz Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik"

"Ein Sachmangel kann allerdings auch dann vorliegen, wenn das Werk den anerkannten Regeln der Technik entspricht, sich jedoch nicht für den nach dem Vertrag vorausgesetzten oder gewöhnlichen Verwendungszweck eignet. Hat der Unternehmer vereinbarungsgemäß nach den anerkannten Regeln der Technik gebaut und ist sein Werk gleichwohl mangelhaft, weil es die vereinbarte Funktionstauglichkeit nicht hat, so trifft ihn in der Regel allerdings kein Verschulden. Er haftet deshalb in diesen Fällen nicht auf Schadenersatz, ist aber zur Beseitigung des Mangels verpflichtet. Beachtet er schuldhaft anerkannte Regeln der Technik nicht, haftet der Unternehmer auch auf Schadenersatz."

Es ist bei sachlicher Betrachtung nicht sachbezogen, ausschließlich auf die sogenannten "anerkannten Regeln der Technik" abzustellen. Wenn man auf den Baustellen mit Vertretern von Fachfirmen oder Architekten diskutiert und fragt, nach welchen Kriterien man die Arbeiten ausgeschrieben und ausgeführt habe, dann kann man in den meisten Fällen davon ausgehen, dass die Antwort lautet: "Nach dem Stand der Technik."

Wenn man auf die sogenannten "anerkannten Regeln der Technik" abstellt, wie sie in der Rechtsprechung verankert sind, und hier verweist Gerhard Gasser noch einmal auf die Randnummer 32, dann bedeutet das, dass man keine Fortentwicklung in der Bautechnik erwarten kann. Hier wird abgestellt auf eine "fortdauernde praktische Erfahrung". Frage: Wann liegt eine fortdauernde praktische Erfahrung vor? Was liegt dazwischen? Wann kann von einer hinreichenden Zahl kompetenter Fachleute ausgegangen werden, die meinen feststellen zu können, es läge für die eine oder andere Bauausführung eine hinreichende Erfahrung vor? Wo sind die Fachexperten, die sich kritisch mit DIN-Normen oder Merkblättern auseinandersetzen? Ist es nicht vielmehr so, dass von den meisten Sachverständigen in der Regel das wiedergegeben wird, was in der einen oder anderen Form nachgelesen werden konnte.

Die Verwendung von Zusatzmitteln, um eine schnelle Erhärtungsphase oder ggf. eine schnelle Belegereife umzusetzen, ist seit Jahrzehnten bekannt, ohne dass auf besondere chemische Zusammenhänge hingewiesen werden müsste. Das Verwenden von flüssigen Zusatzmitteln zu einem zementgebundenen Mörtel, um eine schnelle Belegereife herzustellen, muss allerdings kritisch hinterfragt werden, weil es auch auf eine differenzierte Antwort ankommt.

Es ist aus Gassers Sicht ärgerlich, den Begriff "Sonderkonstruktion" zu verwenden. Eine "Sonderkonstruktion" könnte eine Leistungsausführung sein, die nicht explizit in einer DIN-Norm verankert ist. Auch eine Sonderkonstruktion, wenn man meint, man müsse diesen Begriff verwenden, kann auf der langjährigen Erfahrung aus der Praxis aufbauen und ebenfalls anerkannte Regel der Technik sein.

Wenn der fachkundige Auftragnehmer erkennt, dass zum Erreichen des Erfolgsziels eine bestimmte Leistungsausführung notwendig ist, dann muss man das mit dem Auftraggeber sachbezogen diskutieren und darauf abstellen, dass nur dann, wenn eine bestimmte Leistungsausführung umgesetzt wird, vom Fachunternehmer der Erfolg herbeigeführt werden kann.

"Es wäre geradezu absurd, auf DIN-Normen abzustellen, wenn damit keine sachbezogene, funktionstaugliche Leistungsausführung herbeigeführt werden kann, unabhängig davon, dass in vielen DIN-Normen oder auch Merkblättern Ungereimtheiten zu verzeichnen sind", sagt Gerhard Gasser.

Dass auch mitunter der eine oder andere Rechtsanwalt den Unterschied zwischen den anerkannten Regeln der Technik und dem Stand der Technik nicht überblickt, habe Gasser in diversen Antragsschriften zur Einleitung von Beweisverfahren feststellen können. Wenn ein Auftragnehmer gefragt wird, wie die Leistungsausführung zu bewerten ist, dann sollte immer ausgeführt werden: "Die Arbeiten wurden nach den anerkannten Regeln der Technik ausgeführt."

Die weitere Begründung des OLG Oldenburg vom 8. Mai 2018, Seite 14, ist besonders bemerkenswert. Hier heißt es wie folgt:

"Hier entsprach die Herstellung des Bodens nicht den anerkannten Regeln der Technik. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass es sich bei der Anwendung von schnell bindenden Zusatzstoffen im Estrich um Sonderausführungen handele. Im Industrie- und Objektbau widerspreche eine derartige Sonderlösung aber nicht den anerkannten Regeln der Technik. Im Rahmen der Erstellung einer Doppelhaushälfte zähle er die Ausführung eines Estrichs mit einer Schnellbinder-Konstruktion jedoch nicht zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Es sei festzustellen, dass ein Estrich eingebaut worden sei, der nicht der DIN 18560 entspreche. Zwar sei aus technischer Sicht die vorliegende Konzeption nicht fehlerhaft. Sie entspreche aber nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik. In der Praxis sei ein Estrich mit schnell bindenden Eigenschaften nicht durchweg in der Form bekannt, als dass diese für gesamte Objekte, im Speziellen Wohnhäuser, verwendet werden. Da schnell bindende Estriche im Wohnungsbau eher selten eingebaut würden, liege eine fortdauernde praktische Erfahrung mit diesen Konstruktionen unter diesen Gegebenheiten nicht vor."

Als "Schnellbinder" ist in dem Rechtsstreit gemeint, dass dem Zementestrichmörtel ein flüssiges Zusatzmittel für eine schnelle Erhärtung und Belegereife zugemischt worden ist. Hier meint der Gerichtssachverständige, dass eine solche Vorgehensweise im Industriebau als anerkannte Regel der Technik zu bewerten wäre. Wenn man aber das gleiche Zusatzmittel im Wohnungsbau einsetzt, dann sollen die anerkannten Regeln der Technik nicht mehr gelten.

Das Gericht hat dazu auf den Seiten 14 und 15 wie folgt ausgeführt:

"Angesichts dieser eindeutigen Ausführungen des Sachverständigen - zumindest betreffend den hier vorliegenden Wohnungsbau - kann festgestellt werden, dass die Werkleistung der Klägerin allein schon deshalb mangelhaft ist, weil sie nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. Ob und inwieweit die mangelhafte Ausführung dazu geführt hat, dass Mangelerscheinungen vorhanden sind - insofern gelangen der gerichtliche Sachverständige und der vom Beklagten beauftragte Privatsachverständige zu unterschiedlichen Ergebnissen - kann deshalb dahinstehen."

Es ist hervorzuheben, dass das erkennende Gericht die unterschiedlichen Denkansätze des gerichtlichen Sachverständigen nicht durchschaut hat dahingehend, dass es nicht logisch sein kann, wenn man argumentiert: Im Industriebau sei die Verwendung eines Schnellbinders als anerkannte Regel der Technik zu bewerten aber im Wohnungsbau nicht.

"Auch eine Sonderkonstruktion kann auf der langjährigen Erfahrung aus der Praxis aufbauen und ebenfalls anerkannte Regel der Technik sein."
Gerhard Gasser

Es entspricht den anerkannten Regeln der Technik aber auch dem Stand der Technik, wenn einem zementgebundenen Estrichmörtel ein Zusatzmittel zugemischt wird um damit eine schnelle Erhärtungs- und/oder Trocknungsphase zum Erreichen der schnellen Belegereife umzusetzen. Die schnelle Belegereife muss sich aber auf den notwendigen Feuchtewert erstrecken, welcher für die weitere Verlegung von Bodenbelägen auf dem Estrich erforderlich ist. Im Regelfall ist ein zementgebundener Estrich erst dann belegereif, wenn ein Feuchtewert 2,0 CM-% (Estrich unbeheizt) und 1,8 CM-% (Estrich beheizt) vorhanden ist. Erreicht man das z. B. bereits nach 10 Tagen wegen der Zugabe eines Zusatzmittels, wäre das nicht zu beanstanden.

Ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik oder auch gegen den Stand der Technik kann angenommen werden, wenn argumentiert wird, dass eine schnelle Verlegung eines Bodenbelags bereits z. B. beim Vorliegen von 2,8 CM-% möglich sei. Genau dieser Unterschied ist leider in der dargestellten OLG-Entscheidung Oldenburg nicht näher herausgearbeitet worden.

Als Resümee betrachtet Gerhard Gasser die Argumentation des OLG Oldenburg 2 U 120/17 für nicht abschließend. Es bleibt die Erwartung, dass in einem ähnlich gelagerten Fall ein Gericht auf Fachgutachter abstellt, die in der Lage sind, die Zusammenhänge differenziert darzustellen. Nur dann wird ein Gericht in der Lage sein, eine sachbezogene Entscheidung zu treffen.
Rechtsprechung bei beschleunigten Estrichen uneinheitlich
Foto/Grafik: Gasser
Gibt ein Handwerker ein flüssiges Zusatzmittel für eine schnelle Erhärtung und Belegreife des Estrichs hinzu, kann er deswegen später juristische Probleme bekommen.
aus FussbodenTechnik 03/20 (Recht)