Sachverständigentag: DIN 18202 – "Toleranzen im Hochbau"

Wie weit ist eine Bauleistung akzeptabel?

Die DIN 18202 "Toleranzen im Hochbau" fungiert auf der Baustelle als Schnittstelle für verschiedene Gewerke. Warum sie lediglich eine Richtschnur sein kann, erläuterte Dipl. Ing. Ralf Ertl, Sachverständiger für Gebäudeschäden, auf dem Sachverständigentag in Köln.


An den Stellen, wo es in einem Bauwerk darauf ankommt, müssen Toleranzen eingehalten werden. Aber reicht das? Wie weit darf ein Handwerker vom Idealfall abweichen? Dipl. Ing. Ralf Ertl, Sachverständiger für Schäden an Gebäuden und Obmann des Normenausschusses "Bautoleranzen, Bauanpassungen" im DIN, hat Standardwerke zu diesem Thema verfasst. Und trotzdem oder gerade deswegen schwört er nicht allein auf die Grenzwerte. "Die Toleranz kann eingehalten werden, und dennoch ist die Bauleistung nicht zufriedenstellend", sagt er als Sachverständiger. "Wenn ein Handwerker oder Unternehmer zur abgelieferten Leistung meint, sie wäre zwar nicht schön, liege aber innerhalb der Norm, dann ist das nicht zielführend."

Zweck der Norm 18202 ist die Festlegung von Grundlagen der Bauausführung und deren Prüfung. Genauigkeit muss geregelt werden, und dazu gibt die Norm Hinweise. Sie ist jedoch kein Gesetz, sondern eher ein roter Faden. Wurde beim Bau keine Vereinbarung getroffen, ist auch keine Norm geregelt. Trotzdem sollten Toleranzen immer gelten, denn sie beschreiben die Genauigkeit von Bauteilen üblicher Ausführungsart und Abmessungen und von Standardleistungen, die mit üblicher Sorgfalt ausgeführt sind. Wünsche nach höherer Qualität müssen gesondert vereinbart werden.

Für Ertl ist die Anforderung das entscheidende Kriterium. Ein Bodenbelag muss natürlich zunächst bemustert werden. Und wie ein Werk korrekt auszuführen ist, ergibt sich üblicherweise aus der Leistungsbeschreibung und den Regeln des Faches. Der Planer macht eine Vorgabe. Toleranzen dürfen dort eigentlich nicht aufgeführt sein. Sie haben allein die Funktion, dem Handwerker einen Rahmen der Bauausführung zu setzen. Denn der Mensch macht Fehler. Er weicht immer von der idealen Form und Lage ab. Die Toleranzen nennen dazu eine statistisch erfasste Streubreite, die akzeptabel erscheint.

"Bauen ist eine Einzelfallgeschichte"

Toleranzen sollen Abweichungen eingrenzen. Sie sind baustoffunabhängig. Ihnen ist egal, ob ein Estrich später schüsselt, es zählt nur, was der Estrichleger im Moment seiner Arbeitsabgabe hergestellt hat. Spätere Verformung des Estrichs entsteht aus dem Material heraus und wird in dieser Norm nicht behandelt. Im Bodenaufbau gelten Toleranzen beispielsweise für Maße, Winkel-, Richtungs-, Ebenheits- und Fluchtabweichungen. Aber nicht für Höhenversätze, auch wenn der Bauherr gern Höhengleichheit wünscht. In diesem Fall sind besondere Regelungen erforderlich. Ein solches Thema ist im Gegensatz zu allgemeinverbindlichen Toleranzen also Einzelfall-spezifisch.

Bleibt man innerhalb offizieller Toleranzwerte, heißt das nicht automatisch, dass der Bauherr die Leistung abnehmen muss. "Bauen ist eine Einzelfallgeschichte", wiederholt Ertl. Das gilt auch für das Stichwort Höhendifferenzen zu angrenzenden Bauteilen. Hier muss man die spätere Nutzung in Betracht ziehen. Ertl: "Was brauche ich denn wirklich an einer bestimmten Stelle. Sollen schwere Lasten von einem Raum in den anderen gerollt werden, dann muss die Höhe absatzfrei sein. Gehen nur Menschen von einem Raum in den anderen, sind 2 mm Versatz nicht unbedingt ein Problem." Der Graubereich allerdings reicht eher nur bis 1,5 mm, auch in den Merkblättern verschiedener Bodengewerke. Als Maßstab gilt die Gebrauchstauglichkeit. Bei 1,5 mm wird ein Höhenversatz auffällig. Die Gefahr des Stolperns kann als vermeidbarer Nachteil ausgelegt werden.

Oft erwartet der Bauherr ohnehin mehr als die Bandbreite der Toleranz zulässt. Ihm geht es um ein schönes Ausführungsbild. Also schiebt er die Toleranzgrenzen enger zusammen. Das muss natürlich vereinbart sein. Denn erhöhte Anforderungen benötigen gute Randbedingungen und sehr exakte Arbeit auf der Baustelle. Da muss man sich schon auf das Vorgewerk verlassen können. Ertl: "Ich erlebe oft, dass ein Handwerker seine Arbeit beginnt, obwohl er erkennen müsste, dass es so nicht funktioniert. Die Baubeteiligten müssen mehr miteinander reden, Handwerker mehr Bedenken anmelden. Der Jurist fragt später nicht nach Normen oder Toleranzen, sondern ob das fertige Ergebnis tauglich und marktüblich ist."

Beispiele für übliche Beschaffenheit

An der Schnittstelle Türzarge und Bodenbelag erwartet der Bauher keinen großen Spalt. Doch die DIN 18202 stößt hier an eine Grenze. Zwar gibt sie Winkelabweichungen nach Tabelle 2 und Ebenheitsabweichungen nach Tabelle 3 vor, allerdings sind zeit- und lastabhängige Änderungen des Bodenbelags und bei schwimmenden Aufbauten die Trennfuge zu berücksichtigen. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass im Ergebnis die übliche Beschaffenheit und handwerkliche Sorgfalt zu erkennen sein muss. Eine einheitliche und gleichmäßige Anschlussfuge hat an dieser Stelle demnach eine Breite von 1, 2 oder 3 mm.

Und was ist mit einer Sockelleiste, die zum Boden hin einen ungleichmäßigen Fugenverlauf zeigt? Hier könnte man wieder die Toleranzen nach Tabelle 2 und 3 zu Rate ziehen. Das hilft aber wenig, denn es kommt auf die Art der Sockelleiste und die Montageform an. Da ist handwerkliches Geschick gefragt. Bleibt die Anschlussfuge gradlinig mit 1, 2 oder 3 mm Breite, wird sich niemand beschweren und die übliche Beschaffenheit ist erreicht.

Schäden auf der Baustelle gäbe es vor allem, wenn die Partner und Gewerke nicht miteinander reden würden, meint Ralf Ertl. Das zeige sich u.a. am Meterriss als Bezugspunkt. Den müsse der Planer definieren, damit der Boden nachher die gewünschte Höhe habe. Weil das oft nicht geschehe, lege der Bodenleger selber den Meterriss ohne Absprache mit anderen Gewerken fest und komme bei späteren Problemen in die Haftung.

Im Streitfall fragt der Richter nach dem Bausoll. Kann man aus der Art der Konstruktion erkennen, wie ein Boden hätte verlegt werden sollen? Juristisch ist nicht die DIN 18202 von Belang, vorrangig geprüft wird die handwerkliche Sorgfalt. Stoßen zwei unterschiedliche Bodenflächen aneinander, liegt es am Handwerker zu entscheiden, was er wie miteinander verbinden will und was er dazu braucht. Am Ergebnis misst man seine Anforderungen. Ertl: "Bei jedem Detail muss er nach handwerklicher Sorgfalt überlegen, was er erreichen will und darf sich nicht allein auf Toleranzwerte verlassen."

Fazit: Es gibt eine Akzeptanzgrenze

Die Leistung der Akzeptanzgrenze, die es zweifellos gibt, kann noch innerhalb der DIN 18202 liegen, aber sichtbar nicht den Erwartungen entsprechen. An einen Barfußbereich etwa stellt der Bauherr natürlich erhöhte Anforderung. "Die Norm darf nicht die eigene Überzeugung aushebeln", warnt Ertl davor, Toleranzgrenzen auszureizen. Und ohne vertraglich vereinbartes Bausoll kommt juristisch sowieso die Frage auf: Was ist denn üblich?

Ertl: "Wir brauchen Leute, die sich auskennen auf einer Baustelle. Die Estrichverformung ist ein ganz normaler Vorgang, den auch ein Planer wissen müsste. Da braucht ein Estrichleger keine Bedenken anzumelden. Aber Randabsenkungen von Estrich führen eventuell zu Problemen mit Sockelleisten. Nur weil das in der DIN 18202 nicht geregelt wird, heißt das aber nicht, dass es keine Regeln gibt. Man muss einplanen, dass sich benachbarte Bodenkonstruktion unterschiedlich verhalten können. Und zu hohen Türzargen lässt sich sagen: das ist ein Fehler im Gewerkeablauf. Es muss erst der Boden gelegt, dann die Zarge auf den Boden gesetzt werden. Sonst kann eben ein sehr hoher Abstand entstehen." | Henrik Stoldt


Stand der Norm DIN 18202
Wichtig ist das Ausgabedatum einer Norm. Die derzeitige DIN 18202 - Toleranzen im Hochbau; Bauwerke stammt vom April 2013. Alle fünf Jahre kommt sie zur Überarbeitung. Der neue Entwurf 18202:2018-12E soll Anfang 2020. Von Bedeutung ist zudem die DIN 18203-3:2008-08, Toleranzen im Hochbau; Teil 3: Bauteile aus Holz und Holzwerkstoffen.
aus Parkett Magazin 01/20 (Handwerk)