Kompetenz-Zentrum Textil + Sonnschutz

"Produktionsbedingungen in Deutschland gehören auf den Prüfstand"


Wuppertal. Das Kompetenz-Zentrum Textil + Sonnschutz vereint den Fachverband Matratzen-Industrie, den Verband der Deutschen Heimtextilien-Industrie sowie den Verband innenliegender Sicht- und Sonnenschutz. Im zurückliegenden Jahr war der coronabedingte Ausnahmezustand sowohl bei den Verbandsmitgliedern als auch in der Geschäftsstelle das beherrschende Thema. Haustex sprach darüber mit Geschäftsführer Martin Auerbach.

Haustex: Herr Auerbach, wie fassen Sie das Corona-Jahr 2020 rückblickend für Ihre Verbände und die darin vertretenen Branchen zusammen?

Martin Auerbach: Spätestens mit dem bundesweiten Shutdown vom 22. März bis zum 19. April waren auch die meisten unserer Mitgliedsunternehmen bei Heimtex, Matratzenverband und ViS unmittelbar von der Pandemie betroffen, viele meldeten vorübergehend Kurzarbeit an. Neben der Sorge um die direkten Folgen durch die Ausbreitung der Erkrankung standen Lieferprobleme für Vorprodukte aus dem Ausland und die Einschränkungen der Reisefreiheit und des kleinen Grenzverkehrs im Vordergrund. Zudem sahen sich viele Unternehmen durch die Informationsflut vor große Herausforderungen gestellt, die mit den sich überschlagenden Ereignissen und daraus resultierenden Regelungen verbunden war. Vor diesem Hintergrund führten wir im März unseren Mitglieder-Newsletter zur Covid19-Pandemie ein, mit dem wir zeitweise täglich die wichtigsten Informationen gefiltert und praxisnah aufbereitet haben.

Haustex: Stichwort Maskenproduktion - zu Beginn der Pandemie war die ausreichende Versorgung mit dringend benötigter Schutzausrüstung ein echtes Problem. Welche Erfahrungen waren damit für Sie verbunden und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Auerbach: Tatsächlich sind viele unserer Mitgliedsunternehmen im Frühjahr in die Produktion von Schutzmasken eingestiegen und haben mit ihrem Engagement dazu beigetragen, die Engpässe zu überwinden. Für einige war dies sicherlich auch eine Perspektive zur Aufrechterhaltung der Produktion in der Phase des ersten Shutdowns, als der Handel vorübergehend schließen musste. Doch die Pandemie hat uns schmerzlich vor Augen geführt, wie zunehmend erschwerte Produktionsbedingungen über die letzten Jahrzehnte in einem schleichenden Prozess dazu beigetragen haben, dass immer mehr Hersteller aus den im Kompetenz-Zentrum vertretenen Branchen ihre Produktionsstätten ganz oder teilweise ins Ausland verlagert haben. Wenn die Rückführung von Produktionskapazitäten nach Deutschland - auch über die Krise hinaus - das erklärte Ziel ist, so lautet die klare Forderung der deutschen Textilindustrie an die Politik: Produktionsbedingungen und Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in Deutschland gehören dringend auf den Prüfstand!

Haustex: Wie bewerten Sie aus heutiger Sicht die Situation Ihrer Mitgliedsunternehmen in der Pandemie?

Auerbach: Erfreulicherweise sorgen im Bereich Einrichten und Wohnen Vorzieh-Effekte im Konsum für gut gefüllte Auftragsbücher. Die VerbraucherInnen können wenig reisen und investieren deshalb mehr Geld in ihr Zuhause. Das sonst übliche Sommerloch ist dadurch ausgefallen und Verluste aus der Phase des ersten Shutdowns konnten in einigen Bereichen sogar kompensiert werden, zum Teil bis hin zu Lieferengpässen aufgrund der gestiegenen Nachfrage. Im Bereich der Weichschäume, die zum Beispiel in der Matratzenproduktion benötigt werden, wurden die Engpässe durch eine Verknappung des Rohstoffs TDI bei den wenigen Anbietern verschärft.

Haustex: Wie sieht ihr Fazit für das zurückliegende Jahr aus?

Auerbach: Ganz weit vorne sehe ich da das Thema Kreislaufwirtschaft, das uns intensiv beschäftigt und weiter beschäftigen wird. Denn genau das zeichnet Megatrends aus: Sie bewirken "Revolutionen in Zeitlupe", die sich über mehrere Jahrzehnte hinweg vollziehen und viele Bereiche durchdringen. Für das Thema Kreislaufwirtschaft kann ich sagen, dass es trotz Pandemie spürbar an Fahrt aufnimmt. In den Branchen Heimtextilien, Matratzen, innenliegender Sicht- und Sonnenschutz verstehen wir uns als Vordenker für unsere Mitgliedsunternehmen. Denn auf der Metaebene gleichen sich die Herausforderungen, so dass wir Synergien nutzen, Erfahrungen austauschen und gemeinsame Grundlagen schaffen können.

Haustex: Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen?

Auerbach: Im zurückliegenden Jahr haben wir viel Energie darangesetzt, unsere Mitgliedsunternehmen auf den bevorstehenden Wandel einzuschwören - unter anderem mit einem Factsheet und einer digitalen Infoveranstaltung Ende Oktober. Wir wollen jetzt unsere Chance nutzen, den Wandel mitzugestalten, statt uns von ihm überrollen zu lassen. Dazu gehört der Austausch mit den anderen Stakeholdern entlang der Wertschöpfungskette, den wir über unsere Netzwerke vorangetrieben haben.

Haustex: Was heißt das für die Verbandsarbeit?

Auerbach: Auch bei der Umsetzung des New Green Deal ist es für mich zentral, die Chancen der deutschen Industrie im internationalen Wettbewerb zu schützen. Es gilt zu verhindern, dass Mitbewerber aus dem nicht europäischen Ausland kommende Rechtsvorschriften und Standards aushebeln oder umgehen können, wie wir dies mitunter bei REACH beobachten mussten. Angesicht der bevorstehenden Herausforderungen freue ich mich sehr, dass wir im Heimtex-Verband noch vor dem Jahreswechsel ein neues Referat Kreislaufwirtschaft implementiert und auch unsere Manpower und Schlagkraft entsprechend verstärkt haben.

Haustex: Wie haben sich die Verbände im Kompetenzzentrum in diesem Krisenjahr entwickelt?

Auerbach: Es ist uns trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Ausnahmesituation in allen drei Verbänden gelungen, neue Mitglieder zu gewinnen: Beim Heimtex ist das die Neutex Home Deco. Mit Hemafa, Sun Garden und Winkle konnte der Matratzenverband gleich drei neue Hersteller hinzugewinnen. Über diese Erfolge freue ich mich ganz besonders, denn sie zeigen, dass wir mit unserer Arbeit auf dem richtigen Weg sind und die Mitgliedschaft in unseren drei Verbänden offenbar als lohnend wahrgenommen wird. Wir haben die Krise noch nicht überwunden und stehen auch 2021 noch vor großen Herausforderungen, die wir gemeinsam stemmen möchten.
aus Haustex 01/21 (Handel)