Kleiner Fehler - Großer Schaden

Fehlerhafte Haftbrücke: Großer Schaden im Industrieestrich

Fußbodenkonstruktionen zählen zu den komplexesten und am höchsten belasteten Bauteilen - schon kleine Fehler können hier große Auswirkungen haben. Dabei hat jede Baustelle ihre eigenen Tücken. Oft zeigt sich im Schadensfall erst anhand der Ursachenforschung, worauf ein Verleger alles achten muss. FussbodenTechnik deckt in Zusammenarbeit mit namhaften Sachverständigen anhand realer Schadensfälle mögliche Fehlerquellen auf. Diesmal geht es um den Neubau eines Versuchszentrums, der mit einem flügelgeglätteten Industrieestrich im Verbund ausgeführt wurde.

Ein Estrichleger erhielt den Auftrag, einen Industrieestrich nach DIN 18560 Teil 7 in den Neubau eines Versuchszentrums zu verlegen. Gemäß dem Leistungsverzeichnis (LV) sollte der Rohboden aus Stahlbeton auf eine Gesamtfläche von rund 2.000 m2 kugelgestrahlt werden. Vor der Estrichverlegung hätte die Fläche mittels Oberflächenzugfestigkeitsprüfung nach DIN EN 13892-8 auf Eignung geprüft werden sollen, bevor mittels Kunstharzhaftbrücke der eigentliche Industrieestrich als zementgebundener Hartstoffestrich mit Hartstoff nach DIN 1100 für die Beanspruchungsklasse I (schwer) in 30 mm Dicke verlegt werden sollte.

Gemäß Kundenwunsch soll der fertige Fußboden als Sichtboden mit einem repräsentativen optischen Erscheinungsbild hergestellt werden. Nach Aussagen der Bauleitung und des Bauherrn wurde sehr großer Wert auf das optische Erscheinungsbild gelegt. Im Gebäude wurde daher auf Empfehlung des Estrichlegers von dem eigentlichen LV Abstand genommen und der Vorschlag des Verarbeiters akzeptiert: Dieser schlug einen Portlandzementestrich mit Hartstoffeinstreuung auf einer mineralischen Haftbrücke vor.

Aufgrund von optischen Beeinträchtigungen, vor allem an den Randbereichen, entschied sich die Bauleitung dazu, die Flächen von einem Sachverständigen begutachten zu lassen. Bereits nach wenigen Metern stellte der Sachverständige fest, dass nicht die unschönen Randbereiche, sondern unzählige Hohllagen - zu erkennen an den Y-förmigen Rissen in der Fläche - das eigentliche Problem waren.

Schaden

Raue Randbereiche und unzählige Hohllagen im "Industrieboden"

Der Sachverständige wurde schließlich beauftragt, die gesamten 2.000 m2 auf Hohllagen und Risse sowie nicht fachgerecht geglättete Ränder zu untersuchen. Die Überprüfung des Verbundestrichs ergab annähernd 1.000 Hohllagen. Dem Verarbeiter gelang es an nahezu keinem Randbereich, dem optischen Anspruch des Kunden zu entsprechen. Aus diesem Grund empfahl der Sachverständige den Rückbau des gesamten Estrichs.

Nach längerem Abwägen sprachen sich die Bauleitung und der Bauherr entgegen dem Rat des Sachverständigen für einen Erhalt des Estrichs aus. Diese Entscheidung war vor allem dem Zeitdruck geschuldet. Es gab allerdings die Bedingung, dass ein Prüfinstitut eine Biegezugfestigkeit von mindestens F7 nachweisen konnte. Da die "Verbundestriche" nicht nach Teil 7- Industrieestriche, sondern nach Teil 3 - Verbundestriche geprüft wurden und lediglich eine Dicke von rund 30 mm aufwiesen, mussten sie gemäß DIN 18560-3 "Verbundestriche" nach 5.2.3 auf Biegezugfestigkeit geprüft werden.

Auszug aus DIN 18560-3

5.2.3 Biegezugfestigkeit

5.2.3.1 Proben
Zur Prüfung der Biegezugfestigkeit sind bei Calciumsulfat-, Kunstharz-, Magnesia- und Zementestrichen mit einer Nenndicke bis 40 mm mindestens drei Ausbaustücke aus dem Verbundestrich in einer Größe zu entnehmen, sodass daraus mindestens je zwei Probekörper mit folgenden Maßen herausgesägt werden können:

-Dicke gleich der Estrichnenndicke d;
-Länge min. 4 d;
-Breite etwa 40 mm.

Bei Kunstharzestrichen sind dünne Schichten < 1 cm mit Untergrund zu prüfen; die Probekörper müssen eine Gesamtdicke von 1 cm aufweisen. Eventuell ist nach DIN EN ISO 178 zu prüfen.



Ursache

Umstellen der Konstruktion
und "verbrennen" der Haftbrücke

Die Ursache der im Bauvorhaben entstandenen Schäden ist eindeutig in der fehlerhaften Ausführung begründet. Die verbaute Konstruktion ist komplett zu sanieren und mit einer Beschichtung zu versehen. In diesem Fall ist die Zuordnung für die Schadensursache sehr eindeutig. Der Estrichleger ging mit dem Umstellen der Estrichkonstruktion voll in die planerische Verantwortung. Handwerklich waren die Verarbeiter nicht in der Lage, die Estrichkonstruktion zufriedenstellend auszuführen. Nach Ansicht des Sachverständigen sind 30 mm dünne Zementestriche äußerst schwierig flügelzuglätten. Hierzu empfiehlt es sich, auf spezielle Produkte und Aufbauempfehlungen zu setzen.

In diesem Fall ist die Haftbrücke nahezu "verbrannt", da der Verarbeiter die Flächen nur sehr wenig vorgenässt hatte, um keine Schäden am Gebäude zu riskieren. Aus diesem Grund hatte die Rohdecke zu schnell die Feuchtigkeit aus Haftbrücke und dem Zementestrich entzogen, sodass das Flügeln nahezu unmöglich wurde.

Es wurden insgesamt vier Platten entnommen und im Institut für Baustoffprüfung und Fußbodenforschung (IBF) in Troisdorf auf Biegezug und Abrieb geprüft. Nachdem die seitens der Bauleitung geforderte Estrichgüte vorhanden und bestätigt wurde, konnte der Estrichleger die Sanierung der Fläche vornehmen. In diesem Objekt kam erschwerend hinzu, dass die gesamte Fläche nahezu nur aus Fluren und Schleusen bestand. Daher wurden die Arbeiten nachts ausgeführt.

Als Sanierungskonzept wurden anschließend die vorhandenen Hohllagen markiert und rausgestemmt. Anschließend wurden sie mittels Kunstharzhaftbrücke und Kunstharzmörtel verfüllt. Danach wurden sämtliche Flächen mittels Kunstharzbeschichtung beschichtet.


Verantwortlichkeit

Estrichleger haftet und
muss die Kosten übernehmen

Aufgrund der Tatsache, dass der Estrichleger planerisch tätig wurde und sein Vorschlag handwerklich nicht funktionierte, haftet er für den entstandenen Schaden. Er musste die Kosten inklusive der Beschichtung und Gebäudereinigung infolge der Staubentwicklung übernehmen.


Georg Kuntner - der Autor

Gutachter Georg Kuntner ist von der HWK Manhheim Rhein-Neckar-Odenwald ö.b.u.v. Sachverständiger für das Estrichlegerhandwerk.

Schlossstraße 33
69231 Rauenberg
Tel.: 06222/61269
Fax: 06222/6639795
Mobil: 0170/4436707
sv-kuntner@web.de
www.boden-gutachter.com
Fehlerhafte Haftbrücke: Großer Schaden im Industrieestrich
Foto/Grafik: Kuntner
An diesem Bild ist sehr gut zu erkennen, wie groß die Hohllagen teilweise waren.
Fehlerhafte Haftbrücke: Großer Schaden im Industrieestrich
Foto/Grafik: Kuntner
Hier ist die beengte Situation vor der Sanierung gut zu erkennen.
Fehlerhafte Haftbrücke: Großer Schaden im Industrieestrich
Foto/Grafik: Kuntner
Bereits sanierte Flächen im Flurbereich. Es sind zahlreiche und große Hohllagen erkennbar.
Fehlerhafte Haftbrücke: Großer Schaden im Industrieestrich
Foto/Grafik: Kuntner
Geschliffener Randbereich. Körnung sichtbar, dadurch vom Bauherrn nicht abgenommen.
Fehlerhafte Haftbrücke: Großer Schaden im Industrieestrich
Foto/Grafik: Kuntner
Typisches Erscheinungsbild mit den Y-förmigen Rissen.
aus FussbodenTechnik 06/20 (Handwerk)