Interview mit Stadtplaner Thomas Krüger

"Händler müssen aus ihren Läden herausdenken"

Hamburg. Die deutschen Innenstädte stehen seit Jahren massiv unter Druck - der durch die Corona-Krise noch verschärft wird. Um die Citys langfristig wieder attraktiv zu machen, müssen sowohl die Immobilienbesitzer als auch die Gewerbetreibenden umdenken, sagt Stadtplaner Thomas Krüger von der Hafencity Universität Hamburg im Haustex-Interview.

Haustex: Herr Krüger, wie ernst
ist die Lage in den Innenstädten
aktuell?

Krüger: Der negative Trend ist ja keine neue Entwicklung, wird durch Corona jedoch beschleunigt. Ein Grund ist natürlich die Online-Konkurrenz. Rund 30 Prozent des typischen Innenstadtumsatzes ist ins Internet abgewandert. Das heißt, Händler haben die Krise genutzt - teilweise mit großem Erfolg. Die werden nicht alle wiederkommen. Aber auch die Entwicklung bei den Büroflächen spielt eine große Rolle.

Haustex: Was bedeutet das konkret?

Krüger: Die Menschen werden - auch nach der Krise - vermehrt mobil arbeiten, zu Hause oder in Coworking Spaces in den Stadtteilen. Damit gehen sie den Innenstädten als tägliche Frequenzgeber und Kunden verloren. Der zu erwartende Umsatzrückgang trifft auch die Großfilialisten, die ja das Bild in vielen Innenstädten bestimmen, weil sie lange Zeit die einzigen waren, die die hohen Mieten zahlen konnten. Die Folge wird eine Reduzierung der Flächen sein und über kurz oder lang auch eine Korrektur der Mieten.

Haustex: Ein harter Schlag für die
Immobilieneigentümer.

Krüger: Auf jeden Fall. Es werden eine Menge Kapitalwerte vernichtet werden: Mieten sinken, Flächen werden nicht mehr gebraucht, Immobilien müssen aufwendig für eine neue Nutzung umgebaut werden. Das trifft viele Anleger hart. Gesellschaftlich gesehen ist es aber nötig und gut, dass die langweiligen, uniformen Innenstädte sich verändern.

Haustex: Was würde eine
Innenstadt ihrer Meinung nach
denn wieder attraktiv machen?

Krüger: Historisch gesehen ist die Innenstadt ja ein wirtschaftlicher, aber auch sozialer Marktplatz, ein Ort, wo Menschen sich begegnen und man Dinge bekommt, die es sonst nirgendwo gibt. An diese Idee sollten wir wieder anknüpfen. Statt eines austauschbaren Angebotes an Filialisten sollten das Besondere und die Vielfalt im Fokus stehen. Wenn die Mieten sinken, haben innovative Geschäftsmodelle eine Chance - beispielsweise Kombinationsmodelle aus Verkauf, Beratung, Gastronomie und Kultur. Stadtzentren mit ihren großen Einzugsgebieten sind genau die richtigen Orte für spezialisierte Angebote, die woanders kaum wahrgenommen werden, hier aber genug Kunden finden.

Haustex: Die City sollte also am
besten keine reine Einkaufsmeile
mehr sein.

Krüger: Genau, das Einkaufen muss etwas zurücktreten, denn das ist im Grunde austauschbar und kann im Zweifel bequemer zu Hause vom Sofa aus erledigt werden. Für die Kunden sind in der City nicht allein die Geschäfte wichtig, sondern das Umfeld. Sie wollen etwas erleben, andere Menschen treffen, bummeln, Musik hören auf der Straße, etwas sehen, was es woanders nicht gibt.

Haustex: Unterscheidet sich die
Situation in den Großstädten von
der in Klein- und Mittelstädten?

Krüger: In der Anfangszeit der Corona-Krise haben wir beispielsweise in Hamburg beobachtet, dass die Innenstadt wochenlang tot war, während es den Stadtteilzentren und den kleineren Mittelstädten im Umland noch relativ gut ging. Gründe dafür sind die Zunahme des mobilen Arbeitens und der Trend, hochwertiger und regionaler Einkaufen zu wollen - angefangen bei den Lebensmitteln bis hin zur Wohnungseinrichtung. Gelingt es, in einem Stadtteil die Versorgungsfunktion zu stabilisieren, kann sich rundherum ein Spektrum von Läden und vielleicht auch Coworking-Spaces etablieren. Für kleinere, spezialisierte Läden ist es zudem jedoch ratsam, auch online als Händler aktiv zu sein.

Haustex: Die Stadtteile sind also zu
Konkurrenten der Innenstadt
geworden?

Krüger: Es ist nicht so, dass der eine gewinnt und der andere verliert. Langsam aber sicher werden sich einfach die Strukturen verändern. Das birgt aber auch Chancen: Durch verringerte Mieten und eine hoffentlich gute Zusammenarbeit der Akteure können die Innenstädte sich zu lebendigen Zentren mit besonderen Angeboten und hohem Erlebnisfaktor entwickeln. Derweil sorgt eine Dezentralisierung von Teilen des Handels und der Büroarbeit in die Stadtviertel für eine höhere Lebensqualität im Nahbereich.

Haustex: Was raten sie mittel-
ständischen Händlern, die in
der Innenstadt bleiben oder sich
dort neu etablieren wollen?

Krüger: Ich rate ihnen, sich zu bewegen, sich zu überlegen, wie sie ihr klassisches Angebot erweitern können. Händler müssen aus ihren Läden herausdenken. Entscheidend ist, was die Kunden wollen, und für die ist eine Geschäftsstraße eine Geschäftsstraße und keine Ansammlung von Fachgeschäften. Als Händler muss für mich also auch zählen, was vor meinem Laden ist, der öffentliche Raum und die Nachbarschaft. Um für die Zukunft vorzusorgen, sollte nicht die Maximierung des Einzeldeals im Fokus stehen, sondern eine sinnvolle Zusammenarbeit aller Akteure.

Haustex: Wie kann so eine
Zusammenarbeit aussehen?

Krüger: In den Einkaufsstraßen muss überlegt werden, was ein sinnvoller Mix ist - auch unter Einbezug von Nutzern, die vielleicht nicht so gut zahlen können, aber für die Attraktivität wichtig sind. Alle Akteure müssen verstehen, dass sie in einem Boot sitzen und jeder ein Ruder in der Hand hält. Jetzt dürfen sie nicht länger in verschiedene Richtungen oder gar nicht rudern. Er gilt also, miteinander zu reden und innovative Konzepte zu entwickeln. Diese können von ungewöhnlichen Geschäftskombinationen - etwa ein Bettenfachgeschäft mit einer Buchhandlung und einem Café - bis hin zu einem Mietenpool reichen. Klar ist: Wenn die Händler aktiv sind und die Vermieter mitziehen, ist ganz viel möglich.

Professor Dr.-Ing. Thomas Krüger ist Leiter des Arbeitsgebietes "Projektentwicklung und Projektmanagement" an der HafenCity Universität Hamburg.
aus Haustex 10/20 (Handel)