Fachanwalt Andreas Becker informiert über Coronakrise und Bauverträge

Was jetzt wichtig ist bei Fristen, Schadensersatz und Kündigungsrechten

Die Coronakrise ist derzeit allgegenwärtig. Auch im Handwerk sind die Auswirkungen von Quarantänemaßnahmen, behördlich angeordneten Ausgangsbeschränkungen und Lieferengpässen bei dringend auf der Baustelle benötigten Materialien täglich zu spüren. Viele Auftragnehmer fragen sich jetzt, welche Rechte ihnen in dieser Situation zustehen und welche Forderungen ihnen von Auftraggeberseite drohen, wenn vertraglich vereinbarte Fristen wegen der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus nicht mehr eingehalten werden können.

Für einen Bauvertrag ist zunächst einmal entscheidend, wann er geschlossen wurde. Die aufgrund der Corona-Krise eintretenden rechtlichen Folgen sind davon abhängig, ob ein Fall der höheren Gewalt bzw. anderer für den Auftragnehmer unabwendbarer Umstand vorliegt oder nicht. Höhere Gewalt liegt aber nur dann vor, wenn die Corona-Krise für Auftragnehmer und Auftraggeber unvorhersehbar war. Haben sie aber bei Vertragsschluss schon von der Krise gewusst oder hätten sie davon wissen müssen, kam die Krise und damit auch die möglichen Auswirkungen auf die Vertragserfüllung nicht mehr überraschend. Spätestens mit der Einstufung des Coronavirus als Pandemie durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 11. März 2020 dürfte dies der Fall sein. Wurde der Bauvertrag also kurz vor der Erklärung oder gar erst danach geschlossen, waren die (potenziellen) Auswirkungen des Coronavirus nicht mehr unvorhersehbar. Die nachfolgenden Erläuterungen können sich daher nur auf solche Verträge beziehen, die deutlich vor dem genannten Datum geschlossen wurden.

Spätestens die Einordnung des Coronavirus als Pandemie hat die Krise zu einem Fall der höheren Gewalt werden lassen. Die daraufhin behördlich angeordneten Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen und Quarantäneaufenthalte sind zwar nicht direkt höhere Gewalt, aber dennoch ein unabwendbarer Umstand für Auftraggeber und Auftragnehmer i.S.d. § 6 II Nr. 1 c) VOB/B. Wie ist jetzt also mit den Folgen umzugehen, die aus solchen angeordneten Maßnahmen, aus Lieferengpässen und anderen coronabedingten Einschränkungen entstehen?

Ausführungsfrist
kann sich verlängern

Handelt es sich bei dem geschlossenen Vertrag um einen VOB-Bauvertrag, so gilt vor allem die VOB/B. Diese sorgt dafür, dass bei unvorhersehbaren Unterbrechungen der Bauausführung - wie bei höherer Gewalt oder anderen unabwendbaren Umständen - automatisch die Ausführungsfristen verlängert werden. Dies gilt besonders auch für die vertraglich vereinbarten Fristen, die bei Nichteinhaltung eine Vertragsstrafe nach sich ziehen würden. Kann der Auftragnehmer seine Arbeiten also aufgrund der Coronakrise nicht fristgerecht ausführen, so ist er grundsätzlich nicht zur Zahlung der Vertragsstrafe oder auch eines Verzugsschadensersatzes verpflichtet. Stattdessen verlängert sich seine Ausführungsfrist um den Zeitraum der Unterbrechung und einen Zuschlag zum Wiederbeginn der Arbeiten, vgl. § 6 IV VOB/B.

Wann aber ist die Bauausführung unterbrochen, sodass die automatische Verlängerung von Ausführungsfristen greift? Dies ist vor allem für große Unternehmen relevant, bei denen normalerweise nie alle Arbeitnehmer gleichzeitig verhindert sein dürften. In Betracht für eine Unterbrechung kommen z. B. Materialengpässe wegen des Abbruchs von Lieferketten oder behördlich angeordnete Einreiseverbote, wie sie etwa auf einigen deutschen Inseln auch für Handwerksbetriebe gelten; aber auch der Kleinbetrieb, bei dem das gesamte Team aufgrund eines Verdachtsfalls in häuslicher Quarantäne sitzt und schlicht kein Arbeitnehmer mehr da ist. In solchen Fällen kann die Ausführung unterbrochen sein.

Fristgerecht
Behinderungsanzeige abgeben

Wichtig ist aber außerdem, dass der Auftragnehmer rechtzeitig eine Behinderungsanzeige gegenüber dem Auftraggeber abgibt, in der er mitteilt, dass, inwiefern und mit welchen zu befürchtenden Auswirkungen für die Vertragserfüllung ihn die Coronakrise beeinträchtigen könnte. Ohne eine solche form- und fristgerechte Behinderungsanzeige ist die automatische Fristverlängerung ausgeschlossen und es kommen wiederum Schadensersatzpflichten gegenüber dem Auftraggeber in Betracht. Die Behinderungsanzeige bei einem VOB/B-Vertrag muss schriftlich erfolgen. Eine E-Mail oder WhatsApp erfüllen nicht das Schriftform-Erfordernis. Die Behinderungsanzeige muss unterschrieben sein. Die Versendung sollte also per Fax oder Einwurf-Einschreiben erfolgen. Das Muster einer Behinderungsanzeige kann unter ââbit.ly/behinderungsanzeige heruntergeladen werden.

Wenn die Behinderungsanzeige ordnungsgemäß erfolgt ist und die Ausführungsfrist verlängert wird, ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, ob der Auftragnehmer für die schon erbrachten Leistungen eine (Teil-)Vergütung vom Auftraggeber verlangen kann. Dazu sieht die VOB/B Folgendes vor: "Wird die Ausführung für eine voraussichtlich längere Dauer unterbrochen, ohne dass die Leistung dauernd unmöglich wird, so sind die ausgeführten Leistungen nach den Vertragspreisen abzurechnen und außerdem die Kosten zu vergüten, die dem Auftragnehmer bereits entstanden und in den Vertragspreisen des nicht ausgeführten Teils der Leistung enthalten sind", vgl. § 6 V VOB/B. Eine "längere Dauer" liegt dann vor, wenn mit der Wiederaufnahme der Arbeiten erst einmal nicht zu rechnen ist, spätestens aber wohl bei einer Unterbrechung von drei Monaten. Hier kommt es stark auf den jeweiligen Einzelfall an.

Kündigung bei
zu großer Unterbrechung

Wie lange die Auswirkungen der Coronakrise letztlich andauern werden, kann heute noch niemand voraussehen. Sollten sie aber für einen Zeitraum von drei Monaten oder mehr zu einer Unterbrechung der Bauausführung führen, besteht ggf. sogar die Möglichkeit der Kündigung des Vertrages nach § 6 VII VOB/B.

Bis hierher wurden die Möglichkeiten bei einem vorübergehenden Stillstand der Baustelle dargestellt. Hat der Auftragnehmer auch die Möglichkeit, dauerhaft die Bauausführung zu verweigern? Ein solches Recht zur dauerhaften Leistungsverweigerung besteht nur, wenn die Bauausführung auch dauerhaft unmöglich ist. Das Coronavirus und seine Auswirkungen werden nach dem aktuellen Stand jedoch nur als vorübergehender Zustand eingeschätzt. Daher scheint ein dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht derzeit ausgeschlossen. Auch die Anpassung des Vertrags aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage durch die behördlichen Anordnungen ist zwar grundsätzlich möglich, aber schwierig, da dafür sehr enge Voraussetzungen nötig sind, insbesondere die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag.

Fazit:
Es kommt auf den Einzelfall an

Zusammenfassend gilt daher, dass es - wie stets im Recht - auf den konkreten Einzelfall ankommt. Bei einem VOB-Bauvertrag besteht jedoch die Möglichkeit der Verlängerung von Ausführungsfristen sowie eine Vergütung der bereits erbrachten Leistungen. Auch die Zahlung von Vertragsstrafen kann darüber verhindert werden. Voraussetzung ist jedoch die frist- und formgerechte Vornahme einer Behinderungsanzeige.

Andreas Becker zur Person
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-
und Architektenrecht

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Muster Behinderungsanzeige - So sieht das Formular aus
Das Muster für eine Behinderungsanzeige können Sie direkt herunterladen unter: bit.ly/behinderungsanzeige
aus FussbodenTechnik 04/20 (Recht)