Martin Kuschel über die Bauproduktenverordnung

Deutschland verstößt weiter gegen EU-Recht

Kann die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV TB) dauerhaft Ungereimtheiten lösen, die durch das EuGH-Urteil zum deutschen Ü-Zeichen aufgeworfen wurden? Dieser Frage ging Martin Kuschel, Fachanwalt für Baurecht, auf dem IHD Fußbodenkolloquium nach.

Seit 2014 ist die "allgemeine bauaufsichtliche Zulassung", bekannt durch das Ü-Zeichen, Geschichte. Damals kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese deutsche Verschärfung der Verwendung von Baumaterialien und erklärte eine nationale Nachregelung harmonisierter Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung für rechtswidrig. Dabei hätte es ein Schlupfloch gegeben, um in Deutschland weiterhin erhöhte Anforderungen zu stellen. Zwar nicht direkt an einzelne Bauprodukte, aber an ganze Bauwerke. Die alten Bauregellisten A (Technische Baubestimmungen, die bei der Erfüllung der Grundanforderungen an Bauwerke zu beachten sind) und C (Technische Bestimmungen für Bauprodukte, die nicht das CE-Zeichen tragen, und für Bauarten) hätten Bestand haben können. Martin Kuschel, Vertrauensanwalt des Bundes Deutscher Architekten: "Stattdessen hat man sich entschieden, dem Bauproduktenrecht eine komplett neue, äußere Struktur zu geben."

Diese Struktur hat den langen Namen Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV TB). Ihre deutsche Rechtsgrundlage zieht sie aus den Landesbauordnungen der 16 Bundesländer. Aber: "Geht man davon aus, dass die Anforderungen an Emissionen aus der VV TB gegen das Behinderungsverbot aus Art. 8 Abs. 4 BauPV verstoßen, setzt die VV TB den vom EuGH-Urteil festgestellten Verstoß fort." Bei Prüfkammertests wird nämlich das einzelne Produkt untersucht, europarechtlich zulässig wäre gewesen, hätte man die Emissionsanforderungen ausschließlich auf komplette Bauwerke und Anlagen bezogen.

Das kümmert die deutschen Baurechtshüter offenbar nicht. Die EU hat derzeit anderes zu tun, als den Verstoß der Bundesrepublik gegen die Bauproduktenverordnung zum Anlass eines neuen Vertragsverletzungsverfahrens zu nehmen. Hersteller dagegen könnten durchaus ein Normenkontrollverfahren gegen die VV TB einleiten. Auch in einem Werkmangelprozess zwischen Bauherrn und Bauunternehmer könnten die rechtlichen Ungereimtheiten künftig zur strittigen Frage werden: Wurde ein zulässiges Produkt verbaut, ja oder nein?

In Deutschland selber hat es bereits zwei Urteile zu OSB-Platten gegeben, mit widersprüchlichen Einschätzungen. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht (11.02.2019 - 1 B 454/18) lehnte es ab, die Regelungen der sächsischen VV TB zu VOC-Emissionen außer Kraft zu setzen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg dagegen machte in einem gleichlautenden Fall genau das Gegenteil und führte aus, harmonisierte Bauprodukte seien unzulässig nachreguliert worden (10.07.2019 - 8 S 2962/18). Das eine Gericht votierte im Sinne von Anwender- und Verbraucherschutz, das andere auf der Grundlage der geltenden EU-Verordnung. Natürlich ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Martin Kuschel: "Es ist zu erwarten, dass der EuGH in absehbarer Zeit über ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV mit der Frage nach der Europarechtwidrigkeit der VV TB befasst wird." | Henrik Stoldt
aus Parkett Magazin 02/20 (Recht)