Trendbarometer London

London ist mit seinen zahlreichen Showrooms und Stores stets eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration für alle Akteure der Interior Branche. Seien es die eleganten Labels im West End oder die jungen Progressiven im angesagten East End. Ilona Schulz berichtet aus der Metropole.

Ein Bummel durch das Design Center Chelsea Harbour in London ist immer wieder ein Erlebnis. Vor der Kulisse der Themse mit ihrem imposanten Yachthafen präsentieren internationale Anbieter in 120 permanenten Showrooms, dazu immer wieder Pop-ups, das ganze Jahr über ihre Kreationen.

Doch das DCCH ist seit nunmehr über zwanzig Jahren mehr als nur ein Konglomerat an Showrooms. Es ist ein Ort der Begegnung für einen permanenter Informationsaustausch von Gleichgesinnten. Es birgt unter seinen drei prachtvollen Glaskuppeln, den
Domes, neben den Schauräumen mit Stoffen, Teppichen, Tapeten sowie Kleinmöbeln, Leuchten und Wohnaccessoire einen Book Shop, Cafés mit raffinierten kulinarischen Kreationen, den Design-Club für zahlende Mitglieder aus den Bereichen Design und Industrie mit Champagner-Bar und Zugang zur umfangreichen Fachbibliothek, Veranstaltungen wie die Messen Focus jeweils zum Saisonbeginn, die London Crafts Week und das Super Yacht Design Forum alljährlich im Sommer. Dazu Lesungen, Kunstausstellungen, Vorträge und Diskussionsrunden.

Besucher und Interessierte werden mit Newslettern und Blogs über Events und neue Designentwicklungen auf dem Laufenden gehalten. Immer am Puls der Zeit, behandelt das DCCH Print-Magazin aktuelle Trends. Etwa das omnipräsente Thema Nachhaltigkeit. Bei den Verbrauchern sei eine immer stärker werdende Verweigerung gegenüber Plastik erkennbar; Biophilie, die Liebe zur Natur, werde zur Maxime. Es sei erwiesen, dass der Aufenthalt im Grünen einen positiven Einfluss auf die Gesundheit habe. Aber auch das bloße Anschauen von Bildern mit Motiven aus der Natur wirke beruhigend und fördere das Wohlbefinden.

Flora & Fauna

Diese Erkenntnis haben sich nicht wenige Unternehmen zu Eigen gemacht und bieten Stoffe und Tapeten mit entsprechenden Motiven. Zum Beispiel Cole & Son: Die Tapetenkollektion Pearwood zeigt florale Blockprints und ist eine Fortsetzung des Erfolgsthemas Botanical Botanica mit üppigen Wäldern und Blumen.

Oder Sanderson. Designerin Claire Vallis erklärt: "Wir haben immer an die Kraft der Natur geglaubt und zeigen dies mit Kollektionen wie Woodland Walk, die den Betrachter direkt auf das Land entführt." William Morris bringt stilisierte Vögel und Blumen, angelehnt an die Arts & Crafts-Bewegung, gleichbedeutend mit dem Jugendstil. Bei Pierre Freys Zusammenarbeit mit Christian Astuguevieille wurde ein Blumendruck inspiriert von einem französischen Gemälde aus dem 18. Jahrhundert.

Grün im wahrsten Sinn des Wortes präsentiert sich Nina Campbell für Osborne & Little mit ihrer Stoff- und Tapetenkollektion Asplenium Fern mit großen Farnblättern in verschiedenen Grün-Nuancen. Jane Churchill bedient das Luxussegment und schwelgt in seidigen floralen Geweben.

Orient & Okzident

George Percival Baker, Gründer von GP & J Baker, hatte ein großes Faible für indische Stoffe. 1921 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel "Calico painting and printing in the East Indies in the XVIIth and XVIIIth Centuries". Sein Vermächtnis ist ein reichhaltiges Stoffarchiv. Wertvolle Stücke daraus wurden vor kurzem in einer Ausstellung des Victoria & Albert Museums präsentiert.

Diese Liebe zum Orient kommt auch in den aktuellen Kollektionen zum Ausdruck. Antike persische und indische Paisleys, Damaste mit exotischen Früchten oder Samt in einer reichen Farbpalette. Tapisserien zeigen Szenen mit Tigern, Pfauen und Kamelen in prachtvollen Gärten.

Nach Afrika begibt sich Threads by GP & J Baker in hellen Naturtönen mit Motiven westafrikanischer Stämme. Baker Lifestyle reist in westliche Hemisphären, nach Mexiko mit der Kollektion Fiesta und Inspirationen aus traditionellen Azteken-Mustern.

Auch Colefax & Fowler kann sich dem Reiz des Orients nicht entziehen. Trudi Ballard, Marketing, erklärt: "Traditionelles persisches Design dominiert in unserem umfangreichen Sortiment an Paisleys, stilisierten Blumen und Pflanzen, Libellen und dem prächtigen Baum des Lebens. Stickereien auf Drucken sind inspiriert von historischen Brokaten und Kelims. Alle Posamenten sind handgearbeitet."

Kunst & Poesie

Anregungen holen sich die Kreativen freilich nicht nur aus der Natur. Maler liefern Motive, die sich vor allem auf Tapeten hervorragend umsetzen lassen. Ein prominentes Beispiel ist der französische Stoff- und Tapetenanbieter Lelièvre mit seiner Hommage an Jean Cocteau.

CEO Emmanuel Lelièvre präsentierte im Londoner Showroom die aktuelle Kollektion: "Jean Cocteau war einer der herausragendsten französischen Künstler des 20. Jahrhunderts. Er selbst bezeichnete sich in erster Linie als Poet." Die Tapeten zeigen berühmte Darstellungen, zum Beispiel die Figure d’Ange, die Engelsfigur. Oder Milly-La-Forêt, botanische Darstellungen. Union - zwei Gesichter im Profil - ist eines der berühmtesten Cocteau-Motive, oder Les Dormeurs - die Schlafenden -, criture, Poteries und Joyaux. So kann man sich Kunst ins Haus holen.
Derzeit sind die Jean Cocteau-Designs ausschließlich auf Tapeten erhältlich, aber, so Jens Röstel, Lelièvre Deutschland: "Es ist angedacht, sie künftig auch auf Stoffe zu übertragen. Die Zusammenarbeit mit Künstlern hat eine lange Tradition bei Lelièvre. Das wird fortgesetzt und gepflegt."

Internationale Museen und auch private Sammlungen von Tapisserien sind die Quelle für die Kreationen von Watts of Westminster. In dieser Saison kommen Vorlagen für Tapeten aus der Cité Internationale de la Tapisserie in Aubusson, Frankreich. Hier gibt es eine lange Tradition künstlerisch gestalteter Teppiche und Tapisserien. Das will man mit dem 2016 gegründeten Museum aufrecht erhalten. Watts wurde 1874 gegründet. Marie-Séverine Caramande Chimay führt das Familienunternehmen nun in der fünften Generation. Sie sagt: "Wir haben eine starke DNA. Wir pflegen die traditionellen Vorlagen, aber transformieren sie ins 21. Jahrhundert. Zum Teil auch mit Digitaldruck. Wir öffnen unseren Kunden auf Wunsch unsere Archive. Hier können sie sich individuelle Designs auswählen." Alles wird in Großbritannien gedruckt, auf Leinen oder auch Samt. Zeitgenössische Tapeten kommen auf Graspapier.

Nomen est omen beim belgischen Tapetenhersteller Arte. Neben der eigenen Wandbekleidung hat man eine Kooperation gestartet mit dem niederländischen Design-Unternehmen Moooi, gegründet von Marcel Wanders. Wahre Kunstwerke kommen aus dem Moooi’s Museum of Extinct Animals: Zehn ausgestorbene Tierarten standen Modell für eine Tapetenkollektion. Ein Entwurf zeigt einen üppigen Tropenwald, darin versteckt sind kleine, kunstvolle Zeichnungen dieser Tiere. Dreidimensionale Tapeten sind den Tieren selbst gewidmet - die Oberflächen orientieren sich am Fell, dem Gefieder oder der Haut.

Die Poesie schließlich ist Namensgeber für das Gesamtkunstwerk an Möbeln, Stoffen, Teppichen und Accessoires von Andrew Martin: "The last City of Ozymandias" des britischen Dichters Percy Bysshe Shelly. "Es genügt nicht, nur schöne Stoffe zu zeigen", sagt Martin Waller. "Wir müssen eine Geschichte erzählen. Erklären, was die Message ist." Die Andrew Martin-Stoffe könnten sogar ihre eigene Geschichte erzählen. Sie kommen aus Äthiopien, Marokko, Westafrika.

Ökologie & Nachhaltigkeit

Sustainability (Nachhaltigkeit) und Corporate Social Responsibility (unternehmerische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft) heißen die Forderungen, die gerade auch an die Textilindustrie gestellt werden. Bei Designers Guild lenkt man den Blick auf die Natur mit der neuen Stoff- und Tapetenkollektion La Poème des Fleurs. Unternehmensgründerin Tricia Guild erklärt: "Wir tun alles, was wir können. Natürlich sind wir nicht ausschließlich ökologisch. Es geht Schritt für Schritt."

Simon Jeffreys, CEO und Bruder von Tricia Guild, ergänzt: "Mein Ziel ist ein plastikfreies Unternehmen. 80 % haben wir schon geschafft. Unser größtes Projekt ist der Versand. Wir verwenden fast nur noch Papier und Karton. Das wird recycelt. Auch im Head Office gibt es kein Plastik mehr. So haben wir jedem Mitarbeiter eine Porzellantasse geschenkt. Daraus wird jetzt getrunken. Unsere Outdoorprodukte sind aus recycelten PET-Flaschen."

Das neue Buch von Tricia Guild trägt den Titel In My View. "Es ist ein sehr persönliches Buch", so Guild. "Aber es geht nicht nur um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft."

Ausschließlich Naturmaterialien ohne chemische Behandlung oder Farbe verwendet man bei Fox Linton. Designerin Kathleen Butler zeigt Deko- und Möbelstoffe aus Baumwoll-Samt, Leinen, Mischungen aus Seide/Wolle oder Leinen/Seide, auch einige handgewebte Qualitäten und Wolle in den gewachsenen Farben. "Die Farben variieren bei jedem Schaf", erklärt Butler. "Wir produzieren zeitlosen Luxus, die Materialien halten Jahre." Man arbeitet sehr eng mit den Spinnereien zusammen, achtet auf den Umgang mit dem Material: "Man muss die Fasern mit Respekt behandeln", mein die Designerin.

So sind die Ansätze zur Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich. Oder, wie Martin Waller auf die Frage, was Nachhaltigkeit bedeute, antwortet: "Different things for different people." | Ilona Schulz
aus BTH Heimtex 03/20 (Handel)