Megatrend Feminisierung

Weiblicher denken, emotionaler verkaufen

München. Die Schlafbranche verschläft einen Teil ihrer Möglichkeiten, findet Marketingexpertin Gabi Lück. Denn die meisten Kaufentscheidungen werden von Frauen getroffen, doch in der Werbung finden sich die wenigsten wieder. Aber wie weckt man die weiblichen Kaufpotentiale? Haustex sprach mit der Expertin für Marken-Emotionalisierung den Megatrend Feminisierung, neue Formen des Marketings und die Potentiale für die Schlafbranche.


Haustex: Frau Lück, Trendforscher,
Unternehmensberatungen, Marketing-
experten und Fachpresse sprechen
immer wieder davon, dass die Zukunft
und die Kundschaft weiblich seien.
Warum?

Gabi Lück: Einerseits werden über 80 Prozent aller Einkaufsentscheidungen von Frauen getroffen, laut Verband der deutschen Möbelindustrie sind es branchenmäßig sogar über 90 Prozent. Andererseits haben weibliche Werte eine immer größere Relevanz in der Gesellschaft, nicht nur für Frauen. Hierbei spielen auch die Themen Sinnstiftung von Marken und Vernetzungskommunikation eine entscheidende Rolle für den Erfolg. Auch die vielen Werbebotschaften rund ums Thema Liebe zeigen, dass Marken heute mehr denn je diese Sinnfrage beantworten müssen. Die größte Werte-Studie, die Athena Doctrine, belegt die gesamtgesellschaftliche Sehnsucht nach weiblichen Werten. Dieses neue Selbstverständnis prägt nicht nur die Generation Y und Z, sondern die Zielkundin Frau aller Altersklassen und Gesellschaftsschichten. Das stellt ganz neue Ansprüche an den Handel.


Haustex: Worin besteht die Heraus-
forderung?

Gabi Lück: Vielen Marketingabteilungen ist bereits bewusst, dass dieser weibliche Paradigmen-Shift ganz entscheidend für sie ist. Dennoch sind die Strukturen oft so angelegt, dass der männliche Vertrieb oder Einkauf über Ansprache und Bildwelten entscheidet, oder dass nach bisherigen Erfahrungskriterien, also vergangenheitsorientiert, entschieden wird. Die Herausforderung besteht in der tieferen Kundenkenntnis und -ansprache. Immerhin fühlen sich 91 Prozent der Frauen von der allgemeinen Werbung nicht verstanden. Das ist Chancen-Potential für jedes Unternehmen, das hier neudenkend ansetzt.


Haustex: Inwiefern trifft das auf die
Schlaf- und Bettenbranche zu?

Gabi Lück: Wie gesagt, was die Verbraucher eingekaufen, wird weitgehend nach weiblichen Kriterien entschieden. Das betrifft natürlich besonders die Sortimente, bei denen die Familie einbezogen ist, von Bettbezügen, Matratzen, über Ehe- und Kinderbetten bis zu Betten für die teilweise pflegebedürftigen Eltern. Bedingt durch den demografischen Wandel verheißt gerade der letzte Punkt einen großen Wachstumsmarkt. Man stelle sich nur die Zahl der immer größer werdenden alternden Bevölkerung vor und die damit verbundenen Herausforderungen des Schlafens. Welche neuen Care-Aspekte können hier geliefert werden, welche neue Beratungsqualität sichergestellt werden? Welche sensibilisierte Ansprache wäre hier notwendig?


Haustex: Wie verändert die von Ihnen
beschriebene Feminisierung Marketing
und Kommunikation?

Gabi Lück: Die meisten Entscheider in der Branche sind Männer. Sie können dadurch gewinnen, dass sie sich zunehmend Gedanken darüber machen, wie Frauen und die neuen Generationen ticken - und Kampagnen und ihre Instrumente präziser darauf abstimmen. Besonders in kommunikationsüberfluteten Märkten, zu denen der Bettenfachhandel gehört, muss man sich klar darüber sein, mit welchen Botschaften man bei Frauen und den neuen Generationen eine bessere Emotionswirkung erzielt. Insbesondere wenn es sich um ein Low-Interest-Thema handelt. Die entscheidende Marketingfrage lautet: Wie kann man Schlafen zum High-Interest-Thema transformieren?


Haustex: Wo sehen Sie dringendes
Optimierungspotential?

Gabi Lück: Frauen kaufen keine Marken, sie schließen sie sich ihnen an, wie einer guten Freundin. Dabei ist es für sie auch entscheidend, in welchem Kontext die Marke steht, welche Rollenbilder das Geschäft oder die Marke widerspiegeln. Sind diese zeitgemäß oder stereotyp? Und ist die Kommunikation allgemein auf Augenhöhe? Jede Art von Messen ist verpönt, dazu gehört auch aggressive Preiswerbung. Frauen wollen nicht angebellt, sondern umgarnt werden. Zudem macht der Fokus auf Preiswerbung Marken kaputt, auch wenn es kurzfristig zu funktionieren scheint, führt es die Marke langfristig zu Problemen und ins Aus.


Haustex: Wie macht man ein Produkt
wie eine Matratze für Frauen
interessanter oder ansprechender?

Gabi Lück: Hierbei ist es unter anderem wesentlich, das Thema ganzheitlich anzugehen, vom Produktnamen bis zur Inszenierung, Ansprache und Verkaufsgespräch. Für die Marke Dream Art vom GfM Trendverband haben wir beispielsweise die technisch anmuteten Produktnamen von T 2000 bis K 4000 in ein emotionales, feminisiertes Sales-Naming-Konzept transformiert, in dem die Gefühlsbeschreibungen im Vordergrund stehen. Mit Namen wie etwa Dream Lovely, Dream Sweetly bis zu Dream Super Softly sprechen wir direkt die Gefühle an und zahlen zudem synergetisch auf den Markennamen Dream Art ein.


Haustex: Wie wird das Marketing für
solche Produkte weiblicher?

Gabi Lück: Ob online oder offline, die Essenz weiblichen Marketings findet auf der Menschen- und gefühlszentrierten Ebene statt. Dies braucht ein emotionales Storytelling, welches auch gerne fantasievoll, kreativ oder überraschend sein darf, wie zum Beispiel in dem neuen Emma-Matratzen-Viral-Spot, in dem damit schon wieder eine One-fits-all-Matratze verkauft wird. Abgesehen davon dass, das untere Preisfeld schon von Bett 1 besetzt ist , ist es daher fraglich, ob diese Positionierung aufgeht. Doch das Storytelling ist ein schönes Beispiel, dass es auch emotionaler geht: Hier stellt eine kuriose männliche Schlaf-Fee die Emma Matratze als Rivalen vor. Schlussendlich verliert diese Fee durch Emma auch noch den Job als Schlaf-Fee und eröffnet samt Schafherde dann einen Dönerladen.


Haustex: Aber ist das nicht etwas
skurril?

Gabi Lück: Sicher, aber Emma erreicht so eine hohe Erinnerung und Impact. Ob diese Matratze wirklich alle zum glücklichen Schlaf verleitet, sei dahingestellt, aber es macht neugierig. Es sind Geschichten, an die wir uns erinnern, welche emotional verpackt, das Produkt relevant verkaufen. Man nennt es auch subtiles, empathisches Verkaufen. Empathisch ist dabei auch, dass mal ein Mann als Fee dargestellt wird und damit stereotype Rollenmuster verlassen werden. Stereotype, welche doch noch größtenteils in der Schlaf- und Möbelbranche gang und gäbe sind. In England wird stereotype Werbung bereits strengstens abgestraft.


Haustex: Gibt es noch weitere solcher
Beispiele?

Gabi Lück: Eine ganz ungewöhnliche Idee vollzieht aktuell gerade auch der schwedische Möbelriese Ikea, um die Schlafprobleme in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. MIt seinem Schlafratgeber und einer neuen, äußerst phantasievollen Kampagne propagiert der schwedische Möbelriese kurzerhand das Thema Work-Life-Sleep-Balance (siehe auch folgende Seiten, Anm.d.R.). So sorgt das Unternehmen mit zusätzlichen TV- und Viral-Spots für einen Aufstand im Traumland der Elfen und anderen Schlafhelden und für eine breite neue Aufmerksamkeit für seine Produkte.


Haustex: Was müssen die Fach-
geschäfte dabei beachten?

Gabi Lück: Es gibt viele kleine Fachgeschäfte, die vom Markt verschwinden, und andere, die es schaffen, nah beim Kunden zu sein. Letztere verstehen, dass man das Thema Schlafen ganzheitlicher inszenieren und verkaufen muss. Hierbei geht es auch darum, neu zu denken und neue Absatzwege zu finden: von neuen Dienstleistungen bis zu neuen Apps und Services, wie zum Beispiel dem Schlafraum-Einrichter, der Planung und Visualisierung des kompletten Schlafzimmers bis zum Schlaf-Coaching.


Haustex: Welche besonderen
Bedürfnisse haben Frauen hier?

Gabi Lück: Ein inspirierende Erkenntnis des Zukunfts-Instituts von Matthias Horx lautet: "Wer die Erwartungshaltung der Frauen erfüllt, übertrifft die der Männer." Diese altbekannte einfache Merkregel hilft, Ihre Custumer-Journey nach weiblichen Aspekten zu überprüfen. Für Besitzer eines Ladensgeschäftes bedeutet dies vor allem ein Umdenken in der Ladengestaltung und Warenpräsentation. Frauen stehen nicht auf technokratische Shop-Einrichtung mit kaltem, funktionalem Ambiente, sondern auf warme, stimmungsvolle, natürliche und organische Elemente wie Holz und Stein sowie das dazu passende Licht. Sie reagieren auch empfindlich auf Disharmonie, da sie alles ganzheitlich betrachten. In der Darstellung und Präsentation von Produkten muss der kluge Händler mehr hin zu einem aktiven Fühlen, Sehen und Riechen, bei dem der Mensch und das Wohlgefühl im Vordergrund stehen und nicht das Produkt. Eigenartigerweise fühlen sich Männer in einer so optimierten Umgebung ebenfalls viel wohler.


Haustex: Was kann der Verkauf
daraus lernen?

Gabi Lück: Männer konzentrieren sich in Verkaufsgesprächen zu 70 Prozent auf das Produkt, aber nur zu 30 Prozent auf den Verkäufer, bei Frauen ist es umgekehrt. Frauen wollen eher beraten und verstanden werden als Männer, und haben dabei höhere Ansprüche. Sie hinterfragen viel mehr und stellen mehr infrage. Frauen sind deshalb auch beim Einkaufsverhalten die sogenannten Maximizer und der Trend- und Entwicklungsradar für Marken. Hier liegen viele Chancen brach, denn gut ausgebildetes Verkaufspersonal, das extra gut auf weibliche Bedürfnisse eingeht, ist rar. Selbst weibliche Verkäuferinnen sind sich selten der psychologischen Mechanismen bewusst, denen sie selber unterliegen. Zu leicht verfällt man in einen Verkaufsstil des Aufsagens von Produktvorteilen.


Haustex: Also muss das Verkauf
personal den Female Fokus
stärker verinnerlichen?

Gabi Lück: Selbst erfolgreiche Verkäufer profitieren vom neuen Soft Selling. Was für die meisten wie eine Binsenweisheit klingt, ist im Verkaufsgespräch mit Frauen noch eine Nuance wichtiger: das Ergründen von Bedürfnissen. Frauen wollen immer nur das Beste. Damit ist nicht das teuerste, stabilste prestigeträchtigste Erzeugnis gemeint, welches man anzubieten hat, sondern viel mehr das, das für das Umfeld, die Familie, das eigene Wohlbefinden und die Gesundheit das Vielversprechendste ist. Dafür sind sie auch bereit, höhere Preise zu zahlen. Also auch gestandene Verkäufer mit Top-Zahlen, männlich wie weiblich, haben noch Steigerungspotenzial, sofern sie sich auf die Erkundung weiblicher Kaufanreize einlassen.


Haustex: Und das bedeutet
konkret?

Gabi Lück: Wer insgesamt eine emotional empathische Kundenansprache anstrebt, sollte sich an den Bedürfnissen der Frauen orientieren. Das erfordert eine Professionalisierung des Marketing-Know-hows und zugleich einen Bewusstseinwandel. Deshalb biete ich mit meiner Agentur zusätzlich zu Marketing und Kommunikations Lösungen auch Coaching, Schulungen, und Fokusgroup-Befragungen an. Es ist unglaublich, welche Veränderungen ich dadurch schon begleiten durfte. Es reicht nicht, einfach nur die Werbung zu verändern und die Oberfläche zu polieren. Es geht um jeden Einzelnen, der hinter der Marke steht - und besonders die Entscheidungsträger, da sie Vorbilder sind.
aus Haustex 09/19 (Handel)