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Öffentliche Ausschreibung: Darf ein Bieter Ausschreibungsfehler für sich nutzen?


Ein Handwerksbetrieb nimmt an einer öffentlichen Ausschreibung teil. In den Ausschreibungsunterlagen erkennt er Mängel. Darf er diese Mängel in seinem Angebot korrigieren? Und: Darf er sich seine besonderen Fachkenntnisse zunutze machen und daraus einen wirtschaftlichen Vorteil erzielen? Fachanwalt Andreas Becker gibt Tipps, was ein Handwerksbetrieb bei einer Angebotsabgabe darf - und was nicht.

Eine Gemeinde schrieb Leistungen aus, zu denen zwei Bieter je ein Angebot bis zum Ende der Angebotsfrist abgaben. Da der Zweitplatzierte ein 14 % teureres Angebot abgab, erhielt der andere Handwerksbetrieb den Auftrag. Dagegen wehrte sich der zweitplatzierte Betrieb und ließ eine Nachprüfung bei der Vergabekammer durchführen. Diese wies den Nachprüfungsantrag zurück, machte dabei allerdings einige allgemein gültige Ausführungen.

Der Preisunterschied rührte unter anderem daher, dass der Zweitplatzierte für die Baustelleneinrichtung einen Preis von 65.000 EUR veranschlagte. Der Auftraggeber hatte für diesen Posten einen Preis von 3.900 EUR geschätzt, der Erstplatzierte gab die Kosten mit 1.500 EUR an. Der Zweitplatzierte hingegen hatte einige Ungenauigkeiten in der Ausschreibung festgestellt, diese in der Ausschreibung korrigiert und das Angebot mit schriftlichen Anmerkungen versehen.

Nicht vergleichbare
Angebote

Die ausschreibende Stelle formulierte eine genaue Vorstellung von der zu erbringenden Leistung. Sie nannte exakte Maße und die Beschaffenheit des Materials für eine Nutzung als Verwaltungsgebäude. Der Zweitplatzierte war der Auffassung, dass für Nutzung als Verwaltungsgebäude ein anderes Material und eine andere Ausführung besser geeignet seien. So gab er sein Angebot mit einem anderen Material und einer anderen Arbeitsausführung ab. Die Folge: Die Angebote waren nicht vergleichbar.

Der Zweitplatzierte erkannte sofort, dass er im Zuge der Baustelleneinrichtung wesentlich mehr Leistungen erbringen musste, als tatsächlich ausgeschrieben waren. Diese Leistungen kalkulierte er ein. Die Vergabekammer stellte hierzu fest: Stellt ein Bieter fest, dass dem Auftraggeber ein Messfehler bei der Ausstellung des Leistungsverzeichnisses unterlaufen ist, so hat er die Möglichkeit, über eine Bieteranfrage oder eine Rüge auf den Fehler hinzuweisen. Er kann seine Erkenntnis für sich behalten und den angenommenen Messfehler dazu benutzen, ein möglichst günstiges Angebot abzugeben. Im Zuge eines Nachtrags kann er später die weiteren notwendigen Tätigkeiten anbieten.


Merke: Ein Bieter ist jedoch nicht berechtigt, die Angebotsunterlagen eigenmächtig zu korrigieren. Dann darf er sogar ausgeschlossen werden.


Keine Hinweispflicht
auf Mängel

In die gleiche Richtung entschied das OLG Naumburg: Ein Bieter muss nicht auf Mängel in der Ausschreibung hinweisen. Im dort vorliegenden Fall hatte ein öffentlicher Auftraggeber eine Estrich-Position ausgeschrieben. Der Betrieb, der den Auftrag erhielt, meldete unmittelbar nach der Auftragserteilung seine Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung an. Der Estrichleger meinte, dass der ausgeschriebene Estrich für die Nutzung als Maschinenhalle nicht geeignet sei. Daraufhin erfolgte eine Überprüfung und tatsächlich musste ein höherwertiger Estrich eingebaut werden.

Der Auftragnehmer rechnete daraufhin rund 250.000EUR mehr ab. Der Auftraggeber machte gegenüber dem Planer eine Schadensersatzforderung geltend und erhielt tatsächlich 200.000 EUR. Der Planer wiederum wandte sich an den Auftragnehmer und erlangte von diesem 100.000 EUR anteiligen Schadensersatz.

Das Gericht prüfte diesen Anspruch und war der Auffassung, dass dem Architekten nur die 100.000 EUR zustehen würden, wenn beide gemeinschaftlich einen Schaden für die ausschreibende Stelle verursacht hätten. Der Architekt meinte, dass der Auftragnehmer die Pflicht gehabt hätte, dass Angebot zu prüfen. Bei der Prüfung hätte ihm ausfallen müssen, dass der Estrich nicht geeignet war.

Das OLG Naumburg vertrat die Auffassung, dass bei Ausschreibungen der Bieter nur die Pflicht hat, auf Unklarheiten und etwaige Plausibilitätsdefizite hinzuweisen. Eine Pflicht, erkannte Fehler zu rügen, hätte er nicht. Ein Anbieter ist nur dann verpflichtet auf Mängel der Ausschreibung hinzuweisen, wenn er deren Ungeeignetheit vor Vertragsschluss positiv erkennt. Das heißt, die Unstimmigkeiten und Lücken müssen klar auf der Hand liegen. Das wurde im vorliegenden Fall verneint. Der Auftragnehmer habe nicht offenkundig erkannt, dass die ganze Ausschreibung ungeeignet war und nicht zu dem vertraglichen Erfolg führen konnte.

Praxis-Tipp

Ein Bieter bei einer öffentlichen Ausschreibung darf sich Fehler in der Ausschreibung grundsätzlich zunutze machen. Eine vorvertragliche Hinweispflicht des Bieters besteht nur in absoluten Ausnahmefällen. Verfügt ein Bieter über besondere Fachkenntnisse, darf er sich Ausschreibungsfehler zu seinem wirtschaftlichen Vorteil zunutze machen.

In einem Beschluss des OLG München vom 04.04.2013 (VERG 4/13) hat das Gericht auch erkannt, dass es unterschiedliche wirtschaftliche Interessen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer gibt. Es ist aus diesem Grunde nicht unlauter, wenn der Auftragnehmer Fehler im Leistungsverzeichnis zu seinem eigenen wirtschaftlichen Vorteil nutzt, ein solches Ausnutzen sei kein Anzeichen für eine Unzuverlässigkeit.
aus FussbodenTechnik 02/19 (Recht)